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Westlich von Höchst findet sich am Hang des ‚Galgenberges’ die Richtstätte des mittelalterlichen Zentgerichtes. Sie besteht aus zwei dreieckig zugehauenen Sandsteinplatten mit Vertiefungen (Köppstaa – Kopfsteine), also den Fundamentsteinen von hölzernen Galgensäulen. Dabei dienten die Steine zur Fixierung der Senkrechthölzer dieses Hochgerichts. Eventuell handelt es sich um ein teilmobiles Hochgericht, das nur bei Bedarf aufgerichtet wurde.

Wanderweg zum Galgenberg

Die Geschichte des Höchster Landgerichts geht wohl schon ins 12. Jhdt. zurück. 1156 wird, gleichberechtigt mit Umstadt, ein Lehnsgericht zu Höchst erwähnt. Die Cent Höchst verdankt ihre Entstehung einer Verwaltungsteilung der alten fuldischen Großmark Umstadt. Neben dem Centvorort gehörten die Orte Sandbach, Hainstadt, Pfirschbach, Annelsbach, Hummetroth, Forstel, Mümling- Crumbach, Etzengesäß, Rimhorn, Breitenbach, Mühlhausen und Rosenbach zur Cent. Trotz aller politischen Veränderungen in der Folge hat die Cent ihre Verbindung zu Umstadt bis 1806 behalten, was die Zugehörigkeit des Gerichts zum Oberhof in Groß-Umstadt beweist.

dreieckig zugehauener Stein aus heimischem Sandstein

Die Richtstätte des Centgerichts befand sich westlich von Höchst, am Hang des sogenannten Galgenberges, wo die Galgenanlage von den alten Straßen nach Nauses und Hummetroth gut einzusehen war. Dort sind heute noch die sogenannten ”Köppstaa”, wie sie der Volksmund bezeichnet, zu sehen. Es handelt sich um zwei dreieckig zugehauene Steine aus heimischem Sandstein, in denen Vertiefungen angebracht sind. Nach Frölich handelt es sich dabei um Fundamentsteine hölzerner Galgensäulen.

Fundamentstein einer hölzernen Galgensäulen
Abb. 48 bei Karl Frölich, Stätten mittelalterlicher Rechtspflege auf südwestdeutschem Boden, besonders in Hessen und den Nachbargebieten, 1938

Der ehemalige Richtplatz ist von örtlichen Vereinen zu einer Anlage hergerichtet worden und eine Tafel weist auf die einstige Bedeutung des Platzes hin. Nach dieser Tafel hat die letzte Hinrichtung auf diesem Platz am 30. Mai 1785 stattgefunden. Die Quelle für diese Annahme war allerdings nicht festzustellen.


von Dr. Johann Heinrich Kumpf, Berlin

Bisher galt die Exekution der beiden Räuber Christian Haag und Caspar Mündörfer in Neustadt am 17. Juli 1812 als letzte öffentliche Hinrichtung auf dem Boden der früheren Herrschaft Breuberg. Der 64-jährige Scharfrichter Johannes Nord (1748-1834) 1) aus Höchst nahm damals die Enthauptungen vor. 2) „Er vollzog das Urteil ohne Fehl.“ 3)

Acht Jahre später fand allerdings eine weitere öffentliche Hinrichtung im früheren Breuberger Herrschaftsgebiet statt: In Höchst wurde am 29. Mai 1820 Michael Schanz aus Kirch-brombach enthauptet. Hierbei hatte Johannes Nord eine wenig glückliche Hand.

Die Tat des Michael Schanz

Johann Michael Schanz 4) stammte aus Birkert, das im Amt Breuberg gelegen war. Hier kam er am 25. Juli 1788 als Sohn von Johann Caspar Schanz, einem offenbar recht wohlhabenden Bauern, zur Welt.5) Er ging zur Schule, wo er im „Lesen und Schreiben und auch einigermaßen im Rechnen unterrichtet wurde.“6) Die Vermittlung vieler und solider Kenntnisse konnte man von dieser Schule nicht erwarten. Sie war 1793 eingerichtet worden. In den ersten zehn Jahren lösten vier Lehrer einander ab. Von einem hieß es, dass er „weder richtig lesen, noch richtig schreiben, nicht einmal ohne Fehler buchstabieren kann.“7) 1802 wurde Michael Schanz in Kirchbrombach konfirmiert. Bis zu seinem 15. Lebensjahr wohnte er bei seinen Eltern. Dann verdingte er sich als Knecht bei einem Kinziger Müller. Hier blieb er drei Jahre, bis großherzoglichen Leibregiment eingezogen wurde. Nach wenigen Wochen desertierte er und diente jenseits des Mains als Bauernknecht. „Da indessen ein älterer Bruder für ihn zum Militärdienst gezogen werden sollte, so suchte ihn sein Vater auf und brachte ihn nach Darmstadt, wo er, da er unterdessen einen Daumen verloren hatte, nach überstandener Strafe wegen Desertion dem Fuhrwesen zugeteilt wurde.“8)

Der Vater drängte den Sohn noch zu einer weiteren Entscheidung, die sich für diesen als schicksalhaft erwies: Michael Schanz unterhielt eine uneheliche Beziehung zu Anna Margaretha Steiger (1792-1866) von Langenbrombach, einer Tochter des Tagelöhners Johann Leonhard Steiger (1763-1841). Aus dieser Verbindung ging 1815 ein Kind hervor (Johann Adam). „Als er sich auf Zureden seines Vaters entschloss, die Witwe seines älteren, zu Kirch[brom]bach verstorbenen Bruders9) zu ehelichen, verließ er [die] von ihm Geschwängerte, die er früher zu ehelichen die Absicht hatte. Und da sich die Erlangung seines Abschiedes vom Militärdienste verzögerte und darum die Trauung nicht vorgenommen werden konnte, lebte er ohne solche einstweilen mit seiner Schwägerin, die amtlichen Verbote und Strafen nicht achtend.“10) Dies war Katharina Elisabeth Reeg (1787-1822), Tochter des Bauern Johann Georg Reeg (1754-1818) in Kirchbrombach. Im Frühjahr 1817 wurde Schanz aus dem Militärdienst entlassen und im Oktober heiratete das Paar. Johann Georg Reeg übergab Schanz den Bauernhof mit 70 bis 80 Morgen. Die obere Hälfte des Wohnhauses diente dem Schwiegervater fortan übernommene Hof war mit etwa 900 Gulden belastet, hinzu kamen die Verpflichtungen aus dem Leibgedinge.11) Michael Schanz hatte von seinem Vater zur Hochzeit 1000 Gulden erhalten.

Schanz galt als in sich zurückgezogen, eigensinnig und jähzornig. Das Zusammenleben mit seiner Frau wurde als „im Ganzen genommen verträglich“ bezeichnet.12) Ihnen wurden zwei Kinder tot geboren. Problematisch war das Verhältnis zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. „Schon als Hochzeiter war Schanz wegen tätlicher Misshandlung des Georg Reeg mit mehrtägigem Gefängnis bestraft worden.“13) Später führte die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Leibgedinge immer wieder zu Streitigkeiten. Im Sommer 1818 klagte der Schwiegervater vor Gericht und hatte damit Erfolg. Der Schwiegersohn soll mit Rache gedroht haben.

Der Konflikt kulminierte an Heiligabend 1818. „Des Morgens um 8 Uhr traf [Reeg] seinen Schwiegersohn im Stalle zwischen dessen und seiner eigenen Kuh an, wobei er denselben abermals einer Futterentwendung beschuldigt und geschimpft haben soll. [Schanz], dadurch in Zorn versetzt, ergriff seinen Schwiegervater an der Schulter, zog ihn aus dem Stall und riss ihn auf der Miststätte wiederholt nieder. Auf den Lärm eilten einige Leute herbei und mahnten zur Ruhe. [Reeg] entfernte sich unter der Äußerung: „Ich gehe jetzt nach Breuberg; du wirst schon sehen, wo du deine Feiertage hältst.“14)

Haasische Situationskarte” von Südhessen, Ausgabe um 1800

Reeg suchte zunächst den Gerichtsschöffen im heimatlichen Kirchbrombach auf, dann den Zentschultheißerei-Verwalter Christoph Keller in Nieder-Kinzig.15) Diesem wurde eine 3/4 Stunde später „angezeigt, dass auf der Höhe im Wege ein Mann im Blute liege. Man begab sich sofort dahin und fand auf einer […] Anhöhe, über Kinz[ig] nach Mümling-Grumbach führt, einen Leichnam auf dem Bauche, die rechte Hand ausgestreckt, die linke Hand unter dem Körper, liegen; an einem Strauche stand sein Stock; ein Hut und ein Handschuh lag[en] in einiger Entfernung. In der Leiche erkannte man den Georg [Reeg] aus Kirch[brom]bach.“16)

An einem Beil von Schanz, auf den gleich der Verdacht fiel, fand man deutliche Blutspuren. Er und seine Frau wurden festgenommen. Bei der Obduktion des Leichnams zeigten sich am Kopf „acht beträchtliche Verletzungen, teils von einem stumpfen, teils von einem scharfen Instrumente herrührend, [darunter] beträchtliche Spaltungen des Hinterhauptes; […] Verletzungen, welchen zusammen die Obduzenten einen umso höheren Grad absoluter Tödlichkeit beilegten, als der Tat sobald der Tod folgte.“17)

Schanz zeigte sich bei seinen Vernehmungen zunächst verschlossen und gefühllos. Im November 1819 legte er dann ein umfassendes Geständnis ab: Er habe sein Beil ergriffen und sei seinem Schwiegervater über die Berge nachgeeilt. Beim Zusammentreffen habe er ihn am Rock ergriffen, herumgerissen und aufgefordert, nach Hause zurückzukehren. Dieser habe mit dem Stock nach ihm geschlagen, wodurch er so zornig geworden sei, dass er Reeg „mit dem Beil auf den Kopf geschlagen habe; ob dies einmal oder mehrmals geschehen, wisse er nicht, weil er ganz außer sich gewesen; sein Schwiegervater sei niedergestürzt und er selbst sei im Schrecken zuerst in die Tannen und dann über das Feld nach Hause gesprungen.“ 18)

Die Großherzoglich Hessische Fürstlich Löwenstein-Wert-heimische Gräflich Erbachische Gesamt-Justizkanzlei (so die umständliche Bezeichnung des Gerichts) in Michelstadt, die den Hofgerichten in Darmstadt und Gießen gleichgestellt war, verurteilte Schanz am 11. März 1820 wegen eines im Zorn verübten, dolosen19) Totschlags zum Tod mit dem Schwert. Das Urteil basierte auf der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (der sog. Carolina) mit dem darin enthaltenen Art. 137 („Straff der mörder vnd todtschleger die keyn gnugsam entschuldigung haben mögen“).20) In der Grafschaft Erbach und der Herrschaft Breuberg wurde mehrere Jahrhunderte nach der Carolina gerichtet, auch über das Jahr 1806 hinaus. Sie wurde hier erst durch das hessische Strafgesetzbuch von 1841 abgelöst, das für alle Teile des Großherzogtums galt.

Das Oberappellationsgericht in Darmstadt verwarf die von Schanz eingelegte Revision und leitete das Urteil am 1. Mai 1820 dem Großherzog zu. Es sah davon ab, „den Angeschuldigten zu einer Strafmilderung im Wege allerhöchster Begnadigung zu empfehlen.“21) Am 19. Mai 22) bestätigte Großherzog Ludewig I. (1753-1830) das Todesurteil.

Auch die Ehefrau von Schanz wurde verurteilt. Sie soll bei der Auseinandersetzung am Morgen des Tattags zu ihrem Mann gesagt haben: „Nun gib ihm, weil er doch nach Breuberg will.“ Schanz soll erwidert haben: „Lass ihn als […] gehen; er wird schon allein wegbleiben.“23) Das Darmstädter Gericht sah in ihrer Bemerkung eine „leichtfertige und pflichtwidrige Äußerung über eine ihrem Vater zuzufügende Misshandlung“ 24) und legte ihr eine dreimonatige Korrektionshausstrafe auf. Die Gerichtskosten sollten dem gemeinschaftlichen Ehevermögen entnommen werden.

Das Gnadengesuch

Michael Schanz war auf dem Breuberg inhaftiert. Hier befand sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Blockhaus (Gefängnis) für die ganze Herrschaft Breuberg. 25) Mit „Breuberg, am 26tn May 1820“ ist ein Gnadengesuch von Schanz an den hessischen Großherzog datiert. 26) Es heißt darin: „Ich bin kein Bösewicht, der sich durch wiederholt gehäufte Verbrechen an der Menschheit versündigt hat, ich bin ein unglücklich Verirrter, den, heftig gereizt, bloß Leidenschaft, wie das Urteil selbst anerkennt,’ zur unglückbringenden Tat hingerissen hatte. Auch die Gottheit erbarmt sich nach der Verheißung des Heilandes der armen verirrten Sterblichen; um mein Leben flehend, werfe ich mich zu den Füßen Ew. Königlichen Hoheit nieder, ich will es zu meiner Besserung verwenden.

Das durch die Vollziehung einer Todesstrafe für das Publikum zu gebende abschreckende Beispiel kann nur der allerletzte Zweck der Ausübung der Strafgerichtsbarkeit sein; ich war weder Straßenräuber noch vorsätzlicher Mörder, auf jeder Miene spricht sich Mitleid für mich, den Verirrten aus, die Menschheit ist wieder mit mir versöhnt, der Zweck, ein warnendes Beispiel zu geben, fällt gänzlich weg.

Durch die Verwandlung der Todesstrafe in eine angemessene Zuchthausstrafe falle ich auch niemand zur Last; ich besitze hinlängliches Vermögen, woraus alle Kosten meiner Gefangenhaltung und Verköstigung bestritten werden können.

Zu den Füßen Ew. Königlichen Hoheit flehe ich um mein höchstes Gut, um mein Leben! Der allerbarmherzige Gott stehe mir bei, dass Ew. Königliche Hoheit meine wimmernde Bitte erhören und mich aus dieser Todesangst, noch zur rechten Zeit, erretten!“

Das Gesuch hatte der „Defensor“ (Verteidiger) Ludwig Machenhauer verfasst und für Michael Schanz unterschrieben. Georg Jakob Ludwig (Louis) Machenhauer, 27) geboren am 30. April 1789 in Sandbach, war ein Sohn des dortigen Pfarrers Heinrich Ludwig Machenhauer (1748-1831). Er wurde um 1811/12 zum Akzessisten beim Amt Breuberg ernannt, 1817 zum Justizkanzleiadvokaten und Prokurator in Michelstadt und 1821 zum Hofgerichtsadvokaten zu Darmstadt. Er wurde, nachdem man ihn seit August 1828 vermisst hatte, am 22. November 1828 in der Nähe des Roßdorfer Forsthauses tot aufgefunden. 28)

Eine Antwort auf das Gnadengesuch ist nicht erhalten, dafür zwei Schriftstücke, die sich mit einem offenbar als wichtig empfundenen, formalen Aspekt beschäftigten. 29) Der Staatsminister Karl von Grol-man (1775-1829) warf in einem Schreiben vom 27. Mai 1820, vermutlich an den Kabinettssekretär Ernst Schleiermacher (1755-1844), die Frage nach der „Form der Allerhöchsten Bestätigung von Todesurteilen“ auf. Dies sei in der Vergangenheit nicht gleichförmig geschehen. Er bezog sich u. a. auf den Fall der beiden vor acht Jahren in Neustadt hingerichteten Räuber Haag und Mündörfer. Der belege, „dass schon im Jahre 1812, und zwar gerade in Ansehung eines Urteils der Michelstädter Justizkanzlei, bloß von dem Ministerio, nach Einlangung der Allerhöchsten eigenhändigen Bestätigung, dem Oberappellationsgerichte aufgetragen wurde, das Urteil vollstrecken zu lassen.“ Später habe der Großherzog Todesurteile, die von den Hofgerichten in Darmstadt und Gießen ausgesprochen wurden, eigenhändig unterzeichnet. Grolman bat darum, beim Großherzog zu eruieren, wie jetzt zu verfahren sei. Am selben Tag noch erhielt er die Nachricht, „dass bei den vorliegenden Umständen die höchsteigene Unterzeichnung der Todesurteile [sic] nicht erforderlich“ sei. Das vom Großherzog „bestätigte Urteil, die Bestrafung des Michel Schanz von Kirch-brombach betreffend, [könne] nunmehr ohne weiteren Aufschub vollstreckt werden.“

Die Hinrichtung

Die Hinrichtung war für den 29. Mai 1820, ein Montag,30) in Höchst angesetzt worden. Über die Geschehnisse an diesem Tag informiert ein Bericht, den der Justizamtmann auf dem Breuberg am Folgetag, dem 30. Mai, verfasst hat. Das Original ist vermutlich 1944 in Darmstadt verbrannt. Dass wesentliche Teile dieses Berichts bekannt sind, ist dem Autor einer 1932 in Gießen erschienenen Dissertation31) zu verdanken, der längere Ausschnitte hieraus wiedergegeben hat.

Der Justizamtmann ist hier nur mit „K.“ bezeichnet. Es handelt sich vermutlich um August Kornmesser (1771-1848),32) der seit 1808 Justizbeamter des Erbach-Schönbergischen Amts König33) war und in dieser Funktion im Frühjahr 1820 auf den Breuberg wechselte, im Zusammenhang mit der Vereinigung der beiden Justizämter König und Breuberg.34) Als 1822 die Justizämter in den neu geschaffenen Landgerichten aufgingen, wurde Kornmesser Landrichter beim Landgericht Höchst (bis zu seiner Pensionierung 1842).

In dem Bericht heißt es:35) „Morgens um 6 Uhr [traf] ein Militär-Kommando von 30 Mann von Höchst hier ein, um den Delinquenten von hier nach Höchst zu eskortieren. Dieser, welcher früher schon sein Urteil mit gefasstem Mut angehört und während der drei letzten Tage unter dem abwechselnden Beistände des Herrn Inspektor36) und Pfarrer eine kaum zu erwartende Fassung und Gemütsruhe bezeigt hatte, verlangte ausdrücklich den Weg von hier nach Höchst zu Fuß zu machen, weshalb denn der für ihn in Bereitschaft gehaltene Wagen nachgeführt wurde. Unmittelbar vor dem Delinquenten hatte sich der Justizamtmann mit dem das Protokoll führenden Aktuar [Gerichtsschreiber] zu Wagen nach H[öchst] begeben. Dort waren bereits die dem Blutgericht als Urkundspersonen beiwohnenden Schöffen versammelt. Der Justizbeamte instruierte dieselben und traf noch einige polizeiliche Maßregeln. Inzwischen war der Delinquent angekommen und in die neben dem Rathaus befindliche Wohnung des Zentdieners gebracht und daselbst mit den gewöhnlichen Sterbekleidern versehen worden. Um 9 Uhr wurde das Gericht zum ersten Male, um 1/4 nach 9 Uhr zum zweiten Male und um 1/2 10 Uhr zum dritten Male eingeläutet. Auf das dritte Zeichen verfügte sich das gesamte Gerichtspersonale vom Rathaus auf den Marktplatz, wo das Blutgericht auf die altherkömmliche Weise eröffnet und, nachdem auch der Delinquent vorgeführt worden war, herkömmlich ermaßen abgehalten wurde. Nach geendigtem Blutgericht verfügte sich das Gericht auf den Richtplatz, wohin auch der Delinquent, und zwar abermals auf sein Verlangen zu Fuße, unter Beistand der Geistlichen, gebracht wurde. Von Seiten des Großherzoglichen Militärs war der gehörige Kreis formiert und die Ordnung aufs vollständigste gehand-habt“ worden. Der immer noch gefasst wirkende Schanz wurde „auf den für ihn bereiteten Sitz gebunden […] und durch den Scharfrichter Johannes N[ord] v[on] H[öchst] enthauptet.“

Das Missgeschick des Scharfrichters

Dies verlief allerdings nicht so glatt und reibungslos wie acht Jahre zuvor in Neustadt. Der sichtlich um Rechtfertigung bemühte Justizamtmann schrieb an seine Vorgesetzten:37) „Obgleich nun gedachter Johannes] N[ord] schon mehrere dergleichen Exekutionen und erst vor wenigen Jahren die von H[aag] und M[ündörfer] ohne Fehl und Anstand vollzogen hatte; obgleich ferner derselbe erst am 23ten d[ieses] M[onats], als der Justizbeamte ihn in Gegenwart der 4 Zent-schultheißen befragte, ob er sich bei seinem vorgerückten Alter [72 Jahre] die Exekutionen [sic] vorzunehmen getraue? angab, er habe noch nicht die mindeste Abnahme seiner Kräfte verspürt und getraue sich, wenn es Not tue, noch 15 Köpfe in einem weg abzuhauen; auch würde er es sich zur Schande rechnen, wenn hierzu ein fremder Scharfrichter beigezogen würde; so hatte derselbe dennoch das Unglück, etwas zu hoch zu hauen und so den Kopf nicht im ersten, sondern erst durch den blitzschnell hierauf erfolgten zweiten Hieb vom Rumpfe zu trennen.“

Der Aschaffenburger Zeitung38) zufolge war es noch schlimmer: „Die gestrige Hinrichtung des [ Mörders Michael Schanz zu Höchst […] ging nicht glücklich von Statten. Der Scharfrichter, ein sehr alter Mann, hieb dreimal [!], bis der Kopf vom Rumpfe getrennt war.“

Den Grund für diesen „Unfall“ sah der Justizamtmann darin, dass, „nachdem der Delinquent schon mit verbundenen Augen auf dem Richtstuhle saß und der Scharfrichter mit gehobenem und gezücktem Schwerte hinter ihm stand, die Geistlichkeit mit ihren Segnungen zu lange zögerte und dadurch die Kräfte des sonst so rüstigen Scharfrichters ermüdete.”39)

Der Amtmann empfand es als „Beruhigung, dass nicht nur nach dem Augenschein, sondern auch nach der Versicherung des anwesenden Physi-kats40) schon nach dem ersten Hieb das Leben völlig entflohen sein musste, indem der Kopf von hinten her bis an das Kinn durchhauen war.“ Er zog eine Parallele zum Schicksal des von Schanz getöteten Johann Georg Reeg: „Bei dem Anblick des vom Rumpfe betrennten [sic] Kopfes zeigte sich, dass der erste Hieb gerade dieselbe lebenszerstörende Wirkung geäußert hatte, wie der von Sch[anz] seinem Schwiegervater in das Genick beigebrachte furchtbare Beilhieb […], wobei man sich des Gedankens an eine alles vergeltende Nemesis’) nicht erwehren konnte.“42) Das änderte aber nichts daran, dass dem Scharfrichter Nord eine grausame Miss- oder Fehlrichtung unterlaufen war.43)

Zum Schluss

In der oben erwähnten Dissertation heißt es:44) „Interessant ist […] die Feststellung, dass sich in zahlreichen Bestätigungsvermerken von Todesurteilen der Landesherr ausdrücklich die Beiziehung eines geübten sicheren Scharfrichters ausbittet.“ Mittelfristig führten solch qualvoll verlaufenen Hinrichtungen zum Ende der Strafvollstreckung mit dem Schwert in Hessen. Das am 17. September 1841 erlassene Strafgesetzbuch für das Großherzogtum 45) sah bei besonders schweren Verbrechen noch immer die Todesstrafe vor, die nach Art. 8 durch „öffentliche Enthauptung vollzogen“ werden sollte. In den Beratungen der Landstände war aber „mit Nachdrücklichkeit gegen das Schwert als Hinrichtungsmittel Stellung genommen und auf zahlreiche Fälle unglücklich verlaufener Exekutionen mit dem Schwert verwiesen“ worden.46) Großherzog Ludwig II. (1777-1848) zog daraus die Konsequenz und ordnete am 19. Oktober 1841 an, dass künftig die Todesstrafe „mittelst des Fallbeils“ (Guillotine) vollzogen werde.47) In den Revolutionsjahren 1848/49 wurde die Todesstrafe im Großherzogtum Hessen ganz abgeschafft, aber nur für kurze Zeit. 1852, in der Zeit der politischen Reaktion, kehrte sie zurück.48)


Blick vom Galgenberg über Höchst (od.) hinweg zur Burg Breuberg
https://www.kompass.de/wanderkarte/
Koordinaten: 49.797725N, 8.984711E

Quellen:

  • Heinrich Riebeling, Historische Rechtsmale in Hessen, 1988 (6119.R1) und 1992;
  • Karl Frölich, Sätten mittelalterlicher Rechtspflege auf südwestdeutschen Boden, besnders in Hessen und den Nachbargebieten, 1938.
  • Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V., Galgen und Richtplätze um die Böllsteiner Höhe, https://www.schnellerts.de/index.php/2018/04/03/galgen-und-richtplaetze-um-die-boellsteiner-hoehe/
  • 1)        Für genealogische Auskunft sei Herrn Karl-Heinz Jungermann, Höchst, gedankt.
  • 2)        Eine Schilderung des Ablaufs findet sich bei Ludwig Pfister: Nachtrag zu der aktenmäßigen Geschichte der Räuberbanden an den beiden Ufern des Mains, im Spessart und im Odenwalde, Heidelberg 1812, S. 307-313; siehe auch Hans H. Weber: Die letzte Hinrichtung in Neustadt (1812), in: 600 Jahre Stadt am Breuberg. Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Breuberg, Breuberg 1978, S. 307-313; ‘Traugott Hartmann: Die letzte Hinrichtung in Neustadt im Jahre 1812, in: „gelurt“ 2015, Erbach 2014, S. 74-78.
  • 3)        Aschaffenburger Anzeiger Nr. 115 v. 18.07.1812, [S. 2],
  • 4)        Zu Tat und Täter: Georg Wilhelm Justin Wagner: Hessisches Volksbuch oder Denkwürdigkeiten aus dem Vaterlande, Darmstadt 1834, S. 89 f.; [Johann Philipp] Bopp: Verwandtenmord. Tötung des Schwiegervaters, in: Hitzig’s Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechtspflege 46, 1849, S. 153-160; ders.: Handbuch der Criminal-Gesetzgebung für das Großherzogtum Hessen, Darmstadt 1852, S. 92. Zitate werden sprachlich modernisiert wiedergegeben. Den Fall Michael Schanz behandelt auch Udo Bürger: Die spektakulärsten Kriminalfälle in Hessen, Erfurt 2016, S. 151-155. Dieses Buch ist dem Autor erst nach Abschluss des Manuskripts bekannt geworden.
  • 5) Genealogische Angaben wurden den von Heiner Wolf (Brensbach) bearbeiteten Online-Ortsfamilien-büchern Birkert, Kirchbrombach, Langenbrombach und Mittel-Kinzig, Nieder-Kinzig, Ober-Kinzig entnommen; zu finden unter: http://ofb.ge-nealogy.net.
  • 6)        Bopp, wie Anm. 4, S. 154.
  • 7)        Nach einer Schulvisitation 1794; siehe Georg Dascher: Birkert. Beiträge zur Ortsgeschichte eines kleinen Odenwalddorfes, o. O. [1984], S. 16.
  • 8)        Wagner, wie Anm. 4, S. 89.
  • 9)        Johann Leonhard Schan(t)z (1785-1815).
  • 10)      Bopp, wie Anm. 4, S. 155.
  • 11)      Altenteil; Unterhalt auf Lebenszeit.
  • 12)      Bopp, wie Anm. 4, S. 156.
  • 13)      Wagner, wie Anm. 4, S. 89.
  • 14)      Bopp, wie Anm. 4, S. 156.
  • 15)      Siehe Großherzoglich Hessischer Civil-Etat von den Jahren 1819 und 1820, Darmstadt o. J., S. 176. Dies dürfte Johann Christoph Keller (1757-1830) gewesen sein, der von Beruf Uhrmacher war.
  • 16)      Bopp, wie Anm. 4, S. 157.
  • 17)      Bopp, wie Anm. 4, S. 157 f.
  • 18)      Bopp, wie Anm. 4, S. 158.
  • 19)      -Vorsätzlichen.
  • 20)      Der Text ist zu finden bei: https ://de. wikisource. org/wiki/Key-ser_Karls_des_f % C3 % BCnfften:_vn nd_des_heyligen_R % C3 % B6mi-schen_Reichs_peinlich_ge-richts_ordnung (Abruf: 26.03.2017).
  • 21)      Bopp, wie Anm. 4, S. 160.
  • 22)      Siehe Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt (RegBl) 1820, S. 354.
  • 23)      Bopp, wie Anm. 4, S. 156.
  • 24)      Bopp, wie Anm. 4, S. 154.
  • 25)      Siehe Staatsarchiv Wertheim StAWt-R Rep. 16 b Criminalia Breuberg, Nr. 126, 138 und 240; vgl. Georg Dascher: Vagabunden lieben das Blockhausgefängnis auf dem Breuberg, in: „gelurt“ 2003, Erbach 2002, S. 84-86.
  • 26)      Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD) Bestand D 12 Nr. 41/18; digital abrufbar unter: https://arcinsys.hessen.de/arcin-sys/digitalisatViewer.action?detai-lid = v5374187&selectld = 100949 (Abruf: 04.04.2017).
  • 27)      Zu seiner Person: HStAD Bestände E 9 Nr. 402 und 403; S 1 Nr. Nachweis; Art. Machenhauer, Heinrich Ludwig, in: Hessische Biografie; http ://www. lagis-hes-sen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/3001 (Abruf: 03.04.2017).
  • 28)      Laut Karl Esselborn: Der Marsch der hessischen freiwilligen Jäger nach Lyon im Frühjahr 1814, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde Neue Folge 11, 1915/16, S. 147-198, 184.
  • 29)      Wie Anm. 26.
  • 30)      Siehe die Ankündigung in der Aschaffenburger Zeitung Nr. 126 v. 26.05.1820, [S. 3] (als Ort der Hinrichtung war fälschlicherweise Breuberg angegeben).
  • 31)      Karl Krämer: Mord und Todesstrafe in Hessen 1817-1929, Jur. Diss. Gießen 1932.
  • 32)      Biographische Angaben laut HStAD Bestand G 18 Nr. 98/25 und Bestand S 1, Nachweis.
  • 33)      HStAD Bestand E 9 Nr. 1463.
  • 34)      Vgl. Bekanntmachung, die Vereinigung des Justizamts König mit dem Justizamt Breuberg und Dienstbestellung betr., v. 09.06.1820; RegBl 1820, S. 331.
  • 35)      Zitiert nach Krämer, wie Anm. 31, S. 136.
  • 36)      Laut Civil-Etat 1819/20, wie Anm. 15, S. 113, war der Kirchbrom-bacher Pfarrer Philipp Heinrich Kritzler (1766-1832) Inspektor des geistlichen Inspektorats Breuberg. Er wurde 1828 von diesem Amt entbunden, bei gleichzeitiger Verleihung des Titels eines Kirchenrats; RegBl 1828, S. 483.
  • 37)      Zitiert nach Krämer, wie Anm. 31, S. 138.
  • 38)      Nr. 130 v. 31.05.1820, [S. 3].
  • 39)      Krämer, wie Anm. 31, S. 138.
  • 40)      Amtsarztes.
  • 41)      Ausgleichende, strafende Gerechtigkeit.
  • 42)      Krämer, wie Anm. 31, S. 138.
  • 43)      Diese Begriffe finden sich bei Christian Helfer: Henker-Studien, in: Archiv für Kulturgeschichte 46, 1964, S. 334-359 (insbesondere S. 346 und 348; auf S. 351 Fn. 98 ist Johannes Nord bei seiner Neustädter Hinrichtung 1812 erwähnt); Gisela Wilbertz: Standesehre und Handwerkskunst, in: Archiv für Kulturgeschichte 58, 1976, S. 154-177 (hier insbesondere S. 160; auf S. 158 ist das Michelstädter Richtschwert genannt).
  • 44)      Krämer, wie Anm. 31, S. 138 Fn. 1.
  • 45)      RegBl 1841, S. 409.
  • 46)      Krämer, wie Anm. 31, S. 138.
  • 47)      RegBl 1841, S. 557.
  • 48)      Näher dazu [Johann Philipp] Bopp: Die Wiedereinführung der Todesstrafe im Großherzogthum Hessen im Jahre 1852, in: Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1855, S. 397-433.