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Seite 300 – 345

Nachtrag zu der aktenmäßigen Geschichte der Räuberbanden an den beiden Ufern des Mains, im Spessart und im Odenwalde. Enthaltend vorzüglich auch die Geschichte der weitern Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung der Mörder des Handelsmanns Jacob Rieder von Winterthur. Nebst einer neueren Sammlung und Verdollmetschung mehrerer Wörter aus der Jenischen oder Gauner-Sprache.

Dieses ist das Resultat der Arbeiten des Herrn Amtmanns Ziegler. Jeder Geschäftsmann wird den Umfang derselben leicht zu schätzen und die Verdienste des Herrn Amtmanns Ziegler zu würdigen wissen; – aber auch jeder Andere wird, obgleich er nicht Geschäftsmann ist, sich leicht von dem Mühsamen solcher Untersuchungen, welches durch die falschen Angaben der Verhafteten gewöhnlich unendlich erhöht wird, einigen Begriff machen können;- und dann, wann er die angegebene Zeit der Verhaftungen mit jener der Verurteilungen oder Entlassungen vergleicht, sich selbst sagen müssen, dass mit ausgezeichnetem Fleiße, mit dem tätigsten Eifer gearbeitet wurde.

So sehr gewiss jeder die Verdienste des Herrn Amtmanns Ziegler anerkennt, so sehr wird aber auch Jeder von der traurigen Wahrnehmung ergriffen werden, dass nach den Folgen, welche die meisten dieser Untersuchungen hatten, sie so zu sagen, vergebens, und die schöne Zeit und die große, bedeutende Summe, welche die Unterhaltung der Arrestanten kostete, im strengsten Sinne genommen, verschwendet seie; – wenigstens hinsichtlich aller derjenigen, gegen welche weiter nichts zu Tage kam, als: sie seien da oder dort her, und gegen welche dann lediglich, der bestehenden Einrichtung nach, nichts weiter verfügt werden konnte, als das, was geschähe: sie heimzuschieben, oder aus dem Lande zu weisen.

Eben so wird Jedem die eben so traurige Bemerkung nicht entgehen, dass gar oft völlig unbescholtene Menschen eine kleine Vorsichtigkeits-Vernachlässigung mit wochenlangem Arreste büßen; dass Andere, welche seit langen Jahren sich fleißig und redlich im Lande (welches Arbeiter bedarf) ernährt hatten, wegen Mangel an formellen Ausweisen, fortgeschickt und in ihre Heimath verwiesen werden mussten, wo ihnen vielleicht, wegen Mangel an Gelegenheit zur Arbeit, nichts übrig bleibt – als der Bettelstab. Alles dieses könnte, sollte und würde anders sein, wenn man nicht blos nach den Bedürfnissen des Augenblicks, nach casuellen Impulsen, sondern nach festem, überdachtem Plane, auch für die Folgezeit und für die Nachwelt arbeitete. – Doch: “ was sollen wir für die Nachwelt arbeiten, sagte jener Bauer, sie hat ja auch noch nichts für Uns gethan!” So dachte, so sprach oder handelte man bisher leider auch in gar manchen Collegien; doch es scheint, dass es in unsern Tagen nicht wieder der Fall sein werde. Ueberall zeigt sich regsames Bemühen, auf den großen Zweck los zu arbeiten; und ich hoffe, ich glaube sogar mit Zuversicht verkünden zu dürfen, dass man bald von diesem Bemühen zu der Arbeit selbst übergehen – dass man in den rheinischen Bundesstaaten in kurzer Zeit der Beruhigung genießen werde, sich von der wirklichen Existenz dieser Arbeiten zu überzeugen. Se. Königliche Hoheit, der für das Wohl seiner Staaten so väterlich besorgte Großherzog von Hessen, dessen Milde bisher jede Todesstrafe zu vermeiden suchte, fühlte dringend das Bedürfnisse dieser Strafe in unsern Tagen, gegen die Menschenrasse der Gauner, und bestätigte daher auch (seit langen Jahren der erste Falfin seinen Staaten) unterm 20 Juni 1812 das von dem Großherzoglich hessischen Hofgerichte zu Giessen gegen Jonas Hoes von Reptich ausgesprochene Todesurteil. Am 14. Juli 1812 wurde er zu Giessen enthauptet.

Auch die zu Erbach einliegenden Gauner

  • Georg Adam Horn und
  • Johann Adam Merkel

waren inzwischen von der fürstlich Löwensteinischen und gräflich Erbachischen gemeinschaftlichen Justizkanzlei zu Michelstadt zur Todesstrafe verurteilt worden. Aber beinahe hätten sie selbst die Vellziehung der Strafe vereitelt, indem beide Verbrecher am 2. Juli 1812, am hellen lichten Tage aus ihren Gefängnissen entwichen.

Wahrscheinlich wäre es ihnen gelungen, noch eine lange Reihe von Jahren unter andern Namen ihre Schandtaten zu Beunruhigung und zum Schaden der Bewohner unserer Gegenden fortzutreiben, wenn sie nicht die Dummheit gehabt hätten, sich ganz in der Nähe vom Erbach aufzuhalten, wo sie schon nach wenigen Tagen wieder eingefangen wurden. Dieses bei allem dem immer doch sehr auffallende Ereignis bestimmt mich, nur einige wenige Worte über die möglichst beste Aufbewahrungsart dieser Menschen hier zu sagen. Ich sage: nur einige wenige Worte; denn ich will das nicht wiederholen, was schon in der Geschichte Hessels über die nöthige Vorsicht bei ihrer Visitation gesagt wurde, was man, soviel die Ausführung beinahe unmöglich scheinender Durchbrüche betrifft, aus Trenks Leben usw. kennt.

1. Die Ketten müssen nicht, wie man so häufig sieht, bloße Symbole des Criminal Arrestes, oder Theaterketten, – sie müssen vielmehr von gehöriger Stärke sein; damit der Gefesselte sie nur leicht durch Reiben der Geleiche aneinander, oder an den Gefängniswänden zerbrechen, oder durch Aufschlagen mit einem Steine auf das aufwärts gestellte Kettenglied zersprengen könne.

2. Die Hand- und Fußschappeln dürfen nicht, wie man so viele findet, rund sein, noch weniger dürfen sie ohne weitere Nachsicht bald diesem, bald jenem, wie er gerade eingeliefert wird, angelegt  werden; sondern es ist nötig, dass diese Schappeln jedes Mal, und besonders die Handschappeln, genau nach dem Arm oder dem Fuße gerichtet werden, an welchen sie kommen sollen. Es gibt Menschen, welche außerordentlich kleine Fersen und niedere Reien, oder sogenannte gute Stiefelfüße haben, diese ziehen den Fuß leicht aus der Schappel, wenn sie nicht oberhalb der Knöchel fest anschließt. Mit ein Paar an die Schappeln befestigten Riemen können diese an die Hosenbänder unterhalb der Knie befestiget werden, so dass sie die Knöchel nicht wund reiben. Eine kleine, leicht beugsame Hand entschlüpft eben so leicht jeder Schappel, wenn diese sich nicht hinter der Handwurzel fest an den Arm anschließt. Man lasse sich nicht leicht durch die Beschwerden der Arrestanten über die zu engen Schappeln und die dadurch ihnen verursacht werdenden Schmerzen irre machen; – so lange der Arm oder der Fuß nicht anschwellen, sind solche Klagen erdichtet. Auch durch vorgezeigte Hautabschärfungen und dergleichen lasse man sich nicht zu voreiliger Barmherzigkeit verleiten. Sie werden gewöhnlich mit allem Fleiße gemacht, um diese Barmherzigkeit rege zu machen, und von ihr weitere Schappen oder gänzliche Befreiung von den Ketten zu erhalten. Ein wenig Salbe, Unschlitt oder Butter heilt das kleine Uebel leicht.

3. Kein Geschließ werde mit Schlössern geschlossen. Jeder Nagel, jedes starke Hölzchen, selbst ein Restchen Kordel ist dem erfahrenen Gauner genug, sie zu öffnen. Man lasse alle Geschließe, nachdem sie dem Gauner angelegt sind, von dem Schlosser vernieten; – oder wenn dieses, wegen dazu noch nicht eingerichteten Geschließen, nicht so geradezu geschehen kann, die angehängten Schlösser mit Blei ausgießen.

4. Ist der einliegende Gauner ein sehr starker oder verwegener Mann, so dass von ihm eine Uebermannung des Steckmeisters oder Gefangenenwärters befürchtet werden müßte; so lasse man es bei einer Kette nicht bewenden, sondern schließe ihn kreuzweis; – und sollte er dennoch Versuche zu seiner Befreiung machen, so lege man ihm Handsprenger, welche ihn hindern, beide Hände zusammen zu bringen, und wann diese nicht Sicherheit genug gewähren sollten, auch Fußsprenger an, alle fest genietet.

5. Jeder gefährlich erscheinende Gauner werde überdieses für die Nachtzeit an eine in die Mauer seines Gefängnisses festgemachte starke Kette angeschlossen. Zu diesem Ende bediene man sich besonders eingerichteter Schlösser, welche im Dunkeln, und in so kurzer Zeit nicht so leicht geöffnet werden können.

6. Der Gauner habe zu seinem Lager nichts als zerhacktes Stroh oder Spreu, und einen guten Teppich zum Bedecken; welcher alleine wohl selten zu einem Seite hinreichen wird.

7. Zum Essen werde ihm nichts als ein hölzerner oder zinnener Löffel (kein blecherner) gegeben. Keine Gabel, kein Messer. Sein Fleisch muss ihm kleingeschnitten gereicht werten. Sein Brot kann er brechen.

8. Über die Einrichtung der Gefängnisse ist schon Zuviel gesagt worden, als dass es erforderlich wäre, hier desfalls noch etwas beizufügen. Das traurigste ist, dass so man. Criminalrichter sie nehmen müssen, wie sie sie fanden, und nichts daran verbessern dürfen. Aus dicken Quadersteinen erbaute, oder verpickte Gängnisse sind die sichersten Behältnisse. Man verlasse sich aber auf das sicherste nicht. Ich rufe noch einmal das Andenken an den unglücklichen Trenk und seine Arbeiten in Magdeburg zurück.

9. Schildwachen von Außen sind sowohl zu Beseitigung der Collusionen zwischen den Arrestanten und ihren noch freien Genossen, als dazu unentbehrlich, um jeden Angriff von Außen unthunlich und jedes Ausbrechen unausführbar zu machen. Versteht sich, wenn die Schildwachen ihre Schuldigkeit tun.

10. Der Gefangenwärter visitiere bei Tag und selbst bei Nacht mehrere male, aber durchaus nicht immer zu derselben Stunde; sonst wird er stets alles in Ordnung finden. Muss er seine Wohnung verlassen, so nehme er seinen Weg so, dass die Arrestanten sein Gehen und Kommen nicht beobachten können. Ist dieses untunlich, so mache er öfters Ausgänge zum Scheine und komme schnell wieder zurück, um sie immer in Ungewissheit zu erhalten.

11. Wenn es das Lokal erlaubt, so befinde sich eine Wache auch im Vorplatz vor den Gefängnistüren selbst.

12. Der Criminalrichter besuche zu ungewissen Zeiten die Gefängnisse selbst, und lasse, wann ihm mehrere Gefangenwärter zu Gebot stehen, einen durch den Andern kontrollieren. Dieses liefert auch dem Gefangenwärter die ihm gewiss willkommene Entschuldigung bei seinen Arrestanten: dass er, eben jenes Andern wegen, ihnen irgend eine Nachsicht nicht gewähren dürfe.

13. Man versetze, wenn mehrere Gauner einliegen und mehrere Gefängnisse vorhanden sind, dieselben abwechselnd, ohne bestimmte Ordnung, und in nicht gebundener Zeitfolge, aus einem in das Andere; teils um sie nicht allzu bekannt mit dem Locale und dessen Umgebungen werden zu lassen, um genauer visitieren und Unreinlichkeiten vorbeugen zu können; teils um ihnen durch die Abwechselung in der Aussicht u. s. w. einigen Zeitvertreib zu gewähren.

14. Man gewöhne die Gefangenwärter, die Arrestanten nicht despotisch zu behandeln, sondern ihnen freundlich zu begegnen; sie beim Gehen und Kommen zu grüßen; über gleichgültige Dinge mit ihnen zu plaudern usw.

15. Man sorge vor Allem dafür, dass die Gauner gesunde und gute Kost erhalten, koste diese von Zeit zu Zeit selbst; lasse sich jede Klage darüber vortragen, prüfe sie aber auch genau. Gar oft klagen sie nur darum über zu wenig warme Kost, weil sie sich gerne an dieser alleine satt essen, und ihr Brod verkaufen wollen, um Geld zu Brandwein zu erhalten. Oft ist es auch bloße Leckerei, welche ihre Klagen veranlassen. So wollte einst Hölzerlips keine Gerstensuppe essen, und sendete sie zurück. Er erhielt nun nichts weiter; am folgenden Tage aber dieselbe Suppe wieder. Er nahm sie wieder nicht an. Sie kam am dritten Tage wieder. Nun behielt er sie. Abends war die Schüssel leer, Mathes Oesterlein verriet aber, dass er die Suppe in den Nachtstuhl geschüttet habe. Es fand sich so; und Hölzerlips erhielt für diese von allen seinen übrigen Genossen laut verabscheute Bosheit seine verdiente Strafe. 16. Man sei selbst gefällig gegen die Gauner, gewähre ihnen von Zeit zu Zeit kleine Bitten; bewillige ihnen abwechselnd ein Glas Wein, Bier oder Brandwein, Schnupftabak oder Tabak zum kauen.  Man gestatte ihnen mit Vorsicht alles, was ihnen die Zeit verkürzen kann. So lange sie Zeitvertreib haben, denken sie selten an das Ausbrechen. Darum erlaubte ich, worüber hier Manche sich wunderten, den hiesigen Inquisiten, zu singen, darum erhielt Andreas Petry seine Querpfeife in das Gefängnis, darum erlaubte ich dem Mannefriederich, die Wände zu bemalen, Heilige c. auf Papier zu zeichnen, seine Gedichte zu schreiben; darum ließ ich ihnen Karten, darum ließ ich ihnen, als ich bemerkte, dass sie Wohlgefallen daran hatten, sogar Blumensträuße geben, deren Wohlgeruch ihnen die herzlichste Erquickung war. Darum endlich brachte ich selbst so manche Stunde in ihren Gefängnissen zu.


Doch genug von diesem Gegenstande kehren wir zur Geschichte zurück.

Inzwischen war auch das gegen Caspar Mündörfer und Christian Haag (welche außer den in diesem Werke aufgezählten keine weitere bedeutenden Verbrechen einbekannt hatten) von der Justiz-Kanzlei zu Michelstadt ausgesprochene Todesurteil von seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge zu Hessen gnädigst bestätigt worden. Der peinliche Richter, Herr Brill zu Darmstadt, benachrichtigte nicht nur den Verfasser von dieser erfolgten höchsten Bestätigung des Urteils, sondern forderte ihn auch zugleich amtlich auf, sich gemeinschaftlich mit ihm auf den Breuberg zu begeben, um dort den Versuch zu machen, ob nicht von den Inquisiten, in den letzten Stunden ihres Lebens, noch nähere die Darmstädter und hiesigen Gauner betreffende Angaben, weitere Anzeigen von Kochemer Häusern c., oder sonstige interessante Notizen zu erhalten seien.

So zweckmäßig es dem Verfasser schien, dieser Aufforderung zu entsprechen, so wollte und durfte er es doch nicht unternehmen, derselben so geradezu nachzukommen; – er fragte daher, da der angegebene Zweck vor der Hand bloß als polizeiliche Maßnahme betrachtet werden musste, bei großherzoglichem Neckarkreis – Directorio um Verhaltungsvorschrift an. Diese Stelle, deren Feuereifer für die Beförderung der öffentlichen Sicherheit man bereits aus dem ersten Theile eben so gut kennt, als er im Großherzogthume selbst und in allen Nachbarstaaten anerkannt und geschätzt wird, fand es höchst zweckmäßig, der Aufforderung des Herrn peinlichen Richters zu entsprechen, und beauftragte den Verfasser förmlich dazu.

Am 15. Juli 1812 begab sich der Verfasser nach Darmstadt und nach dort mit dem peinlichen Gerichte genommener Rücksprache zu, gleich mit demselben am 16. Juli auf den Breuberg *). Der gräflich Erbach-Schönbergische Herr Regierungsrath und Justizamtmann Neidhard, welcher die Untersuchung gegen Mindörfer und Haag geführt hat, empfing uns eben so ausgezeichnet freundschaftlich, als thätig er die Hand bat, um zu Erreichung des angegebenen gemeinnützigen Zweckes mitzuwirken. Die Inquisiten waren bei unserer Ankunft gerade beschäftigt, ihre Beichte (beide waren katholisch) abzulegen, um dann unmittelbar darauf das Abendmahl zu empfangen. Zwei würdige katholische Geistliche, die großherzoglich Frankfurtischen Herren Pfarrer von Eisenbach und Mömmlingen waren von der gemeinschaftlichen Justiz*) Wer dieses in einer Entfernung von 7 Stunden von Darmstadt im Odenwalde auf einem hohen, steilen, völlig isolirt liegenden Berge stehende Bergschloß kennt; wer weiß, dass in den in den Ruinen desselben angebrachten Wohnungen Niemand wohnt als der gräflich Erbachische, dann der fürstlich Löwensteinische Beamte, und ein Receptor; dass diesen Beamten selbst das allernötigste Bedürfnis, das Wasser, fehlt, und täglich durch 3 Esel, welche die Untertanen der Herrschaft Breuberg zu unterhalten haben (also eigentliche wahre Amtsesel), aus dem am Fuße des Berg liegenden Städtchen Neustadt zugetragen werden muss; – wer ferner weiß, dass die Amtsuntertanen nicht nur um ihre Rechts- und sonstigen Angelegenheiten zu betreiben, diesen steilen Berg in den Rauhestein wie in den heißesten Tagen zu erklimmen haben; sondern dass sie auch gehalten sind, alle herrschaftlichen bedeutenden Fruchtgefälle in der Frohne diesen Berg hinauf und wieder herunter zu führen, der wird gewiss die Beamten sowohl als die Untertanen bemitleiden, und wünschen, dass dem Übelstande Beider abgeholfen werden möge.

Kanzlei zu Michelstadt, da sich in der Herrschaft Breuberg kein katholischer Geistlicher befindet, ersucht worden, den Inquisiten in ihren letzten Stunden beizustehen. Mit dem ausgezeichnetsten Eifer unterzogen sie sich diesem schweren Berufe. Einverstanden mit bei den Geistlichen, wählte man zu Anstellung des beabsichtigten Versuches den Zeitpunkt unmittelbar nach der Beichte, und vor dem Empfange des Abendmahls. – Beide Inquisiten versicherten einmütig, dass sie weder gegen die Darmstädter noch gegen die hiesigen Inquisiten etwas Weiteres anzugeben wüssten; und dass sie auch weder gegen ihre noch freien Kameraden weitere Verbrechen angeben, noch nähere Notizen von Kochemer Häusern liefern könnten.

Dass man in diesem so feierlichen als schauerlichen Momente bloß bescheiden fragen, nicht aber zudringlich inquirieren dürfe; – dass man den Zustand des Verbrechers, der nach seinen Religionsbegriffen sich soeben mit seinem Gotte ausgesöhnt hat, respektieren müsse, wird wohl der Kriminalist eben so tief als der Laie in diesem Amte fühlen; – selbst den Inquisiten bemerkte man, dass man dieses tue, und ihre Angabe in diesem Momente gleich einer beschworenen Aussage achte. Sie versicherten Beide: nicht das Mindeste mehr angeben zu können.

Unmittelbar hierauf trat der eine Geistliche in priesterlicher Kleidung mit den konsekrierten Hostien ein; die Kerzen brannten zu bei den Seiten des aufgestellten Kruzifixes; der Kerker verwandelte sich in diesem Augenblicke in eine heilige Stätte. Die Priester verrichteten knieend mit den Inquisiten die Gebete, und reichten dann diesen das Abendmahl. Mündörfer betete, mit sichtbarer Rührung, am ganzen Körper zitternd, leise die Gebete nach. Christian Haag hin gegen bemühte sich, sie laut und schnell nachzusprechen, unterließ keine Bekreuzigung, kein Brustklopfen, und schien, obschon er eine zerknischte Miene anzunehmen suchte, das, was er Tat, nicht aus Überzeugung, sondern nur darum zu thun, weil er glaubte, sich dadurch zu empfehlen. Unmittelbar nach dieser heiligen Handlung reichte Caspar Mündörfer, noch knieend, dem Herrn Regierungsrate Neidhardt die zitternde Hand, hat ihn wegen der Mühe, welche er ihm gemacht habe, um Verzeihung, und dankte ihm für alle ihm erzeugte Wohltaten. – Wer fordert, dass der Criminalrichter empfindungslos sein, dass er kein Gefühl für fremde Leiden haben soll, der hat gewiss kein menschliches Herz, und erscheint, wenigstens in meinen Augen, eben so verächtlich, als der Criminalrichter selbst, welcher das aes triplex circa pectus für das nothdürftigste Erfordernis seines Amts, für die köstlichste Insignie seiner Würde hält. Wer so nicht denkt und ist, wird die Träne der Empfindung der innigsten Rührung, welche Mündörfers Benehmen dem Herrn Regierungsrathe Neidhardt entlockte, nicht als Schwäche des Charakters, sondern als den schönsten und köstlichsten Beweis seines edlen Herzens und seines sanftmütigen Gemühtes anerkennen; wird jedem Inquisiten solch einen Richter, und dem Fürsten und dem Lande Glück wünschen, welche Mehrere seiner Art besitzen.

Christian Haag ahmte dem Mündörfer in seinem ebengedachten Benehmen nach, und obschon seine Deprecation und sein Dank, als er sie vortrug, unverkennbar von Herzen gienge, so zeigte sich doch deutlich, dass sein eignes Herz ihn zu beidem nicht angetrieben haben würde, dass nur Mündörfers Beispiel ihn dazu verleitet habe, und dass seine vorzüglichste Absicht nur die war, nicht hinter Mündörfer zurück zu bleiben.

Mündörfer bat den Verfasser, seinen Anverwandten in der Nähe von Heidelberg seinen Tod zu melden, und sie Namens seiner um Verzeihung zu bitten, auch Grüße an seine in Heidelberg ein sitzenden Kameraden zu bestellen. Von daher nahm ich die Veranlassung, den Haag zu fragen: Ob nicht auch er einen Gruß nach Heidelberg zu bestellen habe? Er besann sich einige Zeit, und erklärte dann: “Den Oesterlein mögen Sie grüßen.” Nach einigen Augenblicken setzte er bei: “ auch den Veit (Krämer) können Sie meinetwegen “ grüßen, obschon er mich und viele Kameraden in das Unglück gebracht hat. -”

Ich bemerkte ihm, dass in dem gegenwärtigen Momente eine Äußerung dieser Art verrate, dass seine Reumütigkeit noch nicht tief genug Wurzel geschlagen habe, u. dgl.; und nun erklärte er:

“ Ich verzeihe ihm, grüßen Sie ihn und alle die Andern. Es wird “keiner von mir sagen können, dass ich je in Unfrieden mit ihm gelebt, oder Händel mit ihm angefangen habe.”

“ Das sagt auch keiner” sprach ich, “aber das sagen Alle einstimmig: du seist ein ganzer Kerl auf dem Platze gewesen.” “Das war ich auch! – “ rief Haag mit wohlgefälligem Lachen, und schlug dabei in die Hände, “das war ich auch! Wenn ich nicht so “viele Courage gehabt hätte, so wäre ich nicht überall vorn gewesen, und nicht in mein gegenwärtiges Unglück gekommen.” würde, wann ich mich mit ihm tiefer über seine Courage eingelassen hätte, höchstwahrscheinlich bis zur mussthwilligen Laune übergangen sein; – allein ich fand es unschick ich, in diesem Augenblicke, in Anwesenheit der Geistlichen, so weit zu gehen. Der dick: Bub nahm hiernächst von seiner auf dem Breuberg verhafteten Konkubine und seinem Kinde mit auffallender Kälte Abschied. Nachmittags besuchte ich beide Inquisitoren einmal; sie waren beruhigt, und versicherten wiederholt, nichts Weiteres angeben zu können. Die Geistlichen setzten ihre Gebete und Tröstungen fort, und brachten abwechselnd selbst die Nacht bei den Inquisiten zu. Am 17ten Juli, Morgens um 5 Uhr, erschien die Zentmannschaft, welche die Inquisiten eskortieren sollte, auf dem Breuberg;-  der zu ihrem Transporte bestimmte Wagen fuhr vor; beide Inquisiten verlangten aber, den Weg zu Fuße zu machen, welches ihnen bewilliget wurde. Der Transport ging vordersamst in das am Fuße des Breubergs liegende Städtchen Neustadt auf das Rathaus, wo den Inquisiten die Sterbekleider angelegt wurden. – Während dieses geschah, hatte sich, nach alter Sitte, das Zentgericht unter dem Vorsitze des Beamten auf einem öffentlichen Platze versammelt, um das per Pleonasmum sogenannte hochnoth peinliche Halsgericht zu halten. Der Defensor beider Inquisiten hatte noch einmal, besonders für Mündörfer, Gnade bei dem Souverän nach gesucht; – es erfolgte über eine abschlägige Verbescheidung. Beide Inquisiten erschienen nun vor dem Gerichte, und wiederholten hier das Geständnis ihrer Verbrechen. Mindörfer, welchem seine Vergehen zuerst vorgehalten worden waren, fügte der Bestätigung der selben das Einbekenntnis eines weitern von ihm verübten, unbedeutsamen Bettdiebstahls sei. Dieses war für den dicken Buben, welcher sich, in immer noch fortwährender Hoffnung auf Gnade, wahrscheinlich von Mündörfer an Reumütigkeit und Aufrichtigkeit nicht übertreffen lassen, vielmehr diesen hierin selbst übertreffen wollte, – der Beweggrund, auch zu weitern Geständnissen zu schreiten. Er bekannte nun die lange Reihe der oben bereits unter Bemerkung des Zeitpunkts des Bekenntnisses aufgezählten Vergehen, und fügte diesen dann auch noch das weitere Geständnis bei: “ dass er den Juden bei Königstein  totgeschlagen habe.”

Wer bedenkt, dass Christian Haag ungefähr 20 Stunden früher, unmittelbar nach der Beichte, vor und nach der Kommunion, wie der holt versicherte, dass er nicht das Mindeste mehr wisse; – der wird gewiss, so wie ich, in die Aufrichtigkeit der Bekehrung Haags den höchsten Zweifel setzen, und überzeugt sein, dass die Bekehrung solcher Menschen, in der Regel, bloße Grimasse sei. Denn man kann doch wohl bestimmt annehmen, dass es durchaus unmöglich sei, dass dem Haag das, was er vor dem feierlich gehegten Gericht bekannte, weder am Tage zu vor, noch eine Stunde früher, vor seinem Abgange von dem Breuberg, noch wenige Minuten zuvor, auf dem Rathause zu Neustadt, – sondern dass es ihm bestimmt nur in dem Augenblicke, als er vor das Halsgericht trat, – und dass ihm bei stimmt da erst auch der Totschlag des Juden, dessen Bekenntnis so oft von ihm gefordert worden war, beigefallen sei. Sein ganzes, hier weiter abgelegtes Geständnis hatte platterdings keine andere Tendenz, als entweder die: die Sache so lange aufzuhalten, dass die Mittagsstunde herbei komme (was ihm gelang, denn  erst gegen 1 Uhr erfolgte die Hinrichtung) weil nach einem bestehenden Volksglauben der arme Sünder dadurch von der Todesstrafe befreit werden solle, wodurch sich auch das Verlangen: den Weg zu Fuße machen zu dürfen, näher erklären ließ; – oder die: einen auffallenden Beweis gänzlicher Offenherzigkeit zu geben, und dadurch desto sicherer die Begnadigung, auf welche er immer noch hoffte, zu erhalten.

Damit scheint freilich das Bekenntnis des Todschlags des Juden im Widerspruche zu stehen, weil dieses ihn eher der Gnade unwürdig, als würdig machen zu müssen schien. Allein man bedenke, dass er dieser Tat so zu sagen überwiesen war, – man berücksichtige, was ferner geschah, und man wird den Widerspruch gehoben finden. Mündörfer wurde nämlich, nachdem beide Inquisiten auf dem Richtplatze zuvor noch einmal gebeichtet und gebetet) hatten, und Haag ungefähr 20 Schritte vom Richtplatze entfernt worden war, und während des Folgenden von den Geistlichen unter halten wurde, zuerst hingerichtet. So treffend und schnell auch der Streich war, welcher seinen Kopf vom Rumpfe trennte, so hörte doch Haag das Zischen desselben; sank in die Kniee und rief aus: “Ach Gott, der Caspar ist gerichtet; ich habe den Streich gehört. Man hat mir doch immer gesagt: der Großherzog habe sich verschworen, keinen Menschen hinrichten zu lassen; – O Weh! O Weh!” Er bat nun um die Erlaubnis, von dem Stuhle noch eine Rede halten zu dürfen, und erhielte sie. Er sprach auch wirklich, aber so unvernehmlich, dass man nur die Worte: “Ich bitte Freunde und Feinde um Verzeihung.” verstehen konnte.

Auch sein Kopf flog schnell vom Rumpfe, als ihn der Todes streich von der Hand des 65jährigen Scharfrichters Nord traf.

Wäre es mit der Tendenz dieser Schrift vereinbar, so würde ich mich bemühen, die Szene auszumahlen, wo die alte Ehefrau des alten Scharfrichters, mit dem Ausdrucke der höchsten Freude und Zufriedenheit, zugleich aber auch mit jenem des höchsten Abscheus und Schreckens im Gesichte, vor ihren Mann, welcher das blutige Schwert noch in der Hand hielt, trat, und diesem ihre Zufriedenheit bezeigte; – oder jene, wo sie dem Beamten sagte.

Ich glaube hier die Criminalbeamten darauf aufmerksam machen zu müssen, dass die katholischen Geistlichen die Gebete mit den armen Sündern so lange fortsetzen, bis der Scharfrichter ihnen dieselben abfordert, weil ihr Stand es ihnen nicht erlaubt, durch früheres selbstiges Nachlassen im Gebet gewissermaßen zu Verkürzung der Lebensdauer der armen Sünder beizutragen. „Nun dürfe doch wohl ihr Mann (ein schlichter Bauer) einen Degen und rote Hosen tragen?”

Ich übergehe beides; – wohl aber muss ich zwei andere Punkte berühren, welche auf mich und gewiss auf gar Viele den widrigsten Eindruck machten: In demselben Augenblicke, als die Köpfe der armen Sünder von dem Rumpfe fielen, und aus Letzter das Blut fontänenartig empor sprang, fassten Knechte des Scharfrichters jedes Mal ein Glas voll dieses Blutes auf, und ein nahe stehender Mensch trank es aus; – um sich dadurch von der fallen den Sucht zu heilen. So waren auch die Stücke des zerbrochenen Stabes von einer Weibsperson mit dem größesten Eifer unter den Füßen der Inquisiten hinweggerafft worden, um sie zu irgend einem, mir unbekannt gebliebenen, abergläubischen Endzwecke zu benutzen. Der Scharfrichter Nord hatte die Bestellung dieses Stabes selbst übernommen, um ja versichert zu sein, dass er so zugerichtet werde, damit am Bruche sich keine Splitter ergäben, weil dieses, wie er versicherte, ein böses Zeichen, ein Vorbild des Misslingens der Hinrichtung sein würde. – So schaffen sich die Menschen überall ihre Hoffnungen, – so überall ihre Quälgeister – Selbst! Unmittelbar nach der Hinrichtung ertönte in den Wirtshäusern Neustadts Saitenspiel; – und bachantische Tänze waren das Result tat des Eindrucks, welchen die Gräuelszene auf die Menge gemacht hatte. Ich schweige, – – um nicht zu viel zu sagen!

Das Justizamt Breuberg erteilte dem Verfasser, auf sein Begehren, sogleich einen Auszug des Protokolls über die letzten Geständnisse des Christian Haag – und da es immerhin, zwar nach meiner rechtlichen Meinung kaum glaublich, aber doch möglich wäre, dass das unumwundene Geständniß des dicken Buben: “Er habe den Juden bei Königstein totgeschlagen,” eine Milderung der Strafe Oesterleins erzeugen könnte; so beeilte ich mich, sogleich bei der Zurückkunft Großherzogl. Justizministerium jenen Auszug, mittelst Berichtes, durch Estafette vorzulegen.

Das Geständnis weiterer Verbrechen, welches der dicke Bub abgelegt hatte, konnte man gegen die dabei beteiligten hiesigen Inquisiten vor der Hand noch nicht benutzen, weil man im Läugnungsfalle von dem Hauptargumente: dass dieses Geständnis im letzten Leben saugen blicke Haags abgelegt sei, keinen Gebrauch machen durfte; dann mit einer solchen Eröffnung würden sie so zu sagen ihr eignes Todesurteil empfangen haben, indem sie sich selbst hätten sagen müssen, dass nun gleiches Loos notwendig auch sie treffen müsse. Man hätte zwar einen Versuch wagen können, auch ohne eine solche Eröffnung des Moments des erfolgten Geständnisses, dieses zu benutzen, allein auch dieses schien, selbst abgesehen davon, dass man der Verfahrungsweise ihre Hauptsorge auf den Fall der Not geschwächt hätte, um deswillen nicht räthlich, weil die Inquisiten auf den doch immer möglichen, obgleich sorgfältig zu verhüten gesuchten Fall, dass sie irgend etwas von der erfolgten Hinrichtung Mündörfers und Haags erfahren hätten, jene Eröffnung zuverlässig als Bestätigung einer solchen Nachricht betrachtet haben, und keine Versicherungen des Gegenteils im Stande gewesen sein würden, ihnen jenen einmal gefassten Glauben zu benehmen. Um jedoch in der Folge, nach erfolgtem Urteile, einen leichteren Übergang auf diesen Punkt zu haben, benutzte ich einen Besuch in den Gefängnisse, um den Mathes Oesterlein in gleichgültigem, freundlichem Tone zu fragen: ob ihm nicht noch etwas Näheres beigefallen sei?

Er beantwortete diese Frage, wie ich erwartet hatte, rasch mit Nein! Ich bemerkte ihm dagegen, dass wirklich noch einige Vergehen, jedoch von minderer Bedeutung, gegen ihn zur Anzeige gekommen seien, und forderte ihn zugleich auf: sich zu besinnen, um sie, wenn er ins Verhör komme, angeben zu können. Er versicherte, dass jede weitere Angabe gegen ihn falsch sei, und brach in Beteuerungen aus. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er früher eben so gesprochen, – und doch sich später gar Manches noch gefunden habe; worauf er mir antwortete: “Wenn ich voriges Jahr gewusst hätte, was ich nun weiß; – „so würde ich gar nichts gesagt haben. Nämlich, wenn ich gewusst “hätte, dass man Bücher von uns schreibt und dass nun jeder “ man lesen kann, was ich getan habe.”

Eine Aeußerung, welche gewiss kein übles Licht über Oesterleins Charakter verbreitet; – welche aber zugleich auch lehrt, wie vorsichtig man sein müsse. Hätte ich gewusst, dass irgend Jemand die Unbesonnenheit haben könne, den Inquisiten die Aktenmäßige Geschichte zu zeigen, ich würde sie lieber gar nicht geschrieben haben. Wie konnte ich aber so etwas auch nur von Weiten vermuten und doch war es wirklich zu Mannheim im Zuchthause geschehen! Veit Krämer und Hölzerlips hatten mir es gleich bei ihrer Rückkunft hierher gesagt; – ich suchte Beiden es auszureden; Hölzerlips  erwiderte mir aber: “Zum Wahrzeichen sage ich Ihnen, der Schefflenzer Bub hat “auf dem Bild, worauf wir alle abgezeichnet sind, Nr. 11.” Bei der Nachhausekunft sah ich nach und fand zu meinem Verdruss seine Angabe bestätigt. Ich glaube, dass es unter diesen Verhältnissen kaum gelingen werde, von Oesterlein noch etwas zu erfahren. Für Charaktere dieser Art, welchen Schamhaftigkeit eigen ist, passen, wie dieses Beispiel zeigt, die in Frankreich eingeführten öffentlichen Verhöre durchaus nicht. Manche sind zwar der Meinung, dass gerade diese Öffentlichkeit und die damit verbundene größere Feierlichkeit größeren Eindruck auf die Inquisiten machen müsse. Ich gebe dieses für einzelne Fälle, aber nicht im Allgemeinen, zu. Der selige (um mit Peter Petry zu sprechen) Hainstadter Peter hat in Boxberg deutlich bewiesen, dass die Öffentlichkeit des Verhörs auf ihn nicht wirke. Man war nämlich dort auf den originellen Einfall gekommen, ihn, gegen allen hiesigen Gerichtsgebrauch: öffentlich zu verhören; – man hatte aber nichts davon als den Ärger: öffentlich gezeigt zu haben, dass man nichts über ihn vermöge; – auch die als  Erforschungsmittel gebrauchten Schläge erhielt er öffentlich, – selbst die Geistlichen der drei christlichen Religionen, welche man, als alles Andere nicht frommte, bei rief, sollten ihm öffentlich zusprechen; – es war alles vergebens; – und musste, aus dem Praktiker leicht begreiflichen Ursachen, vergebens sein.

Am 24ten Juli 1812 wurde der Verfasser mittags nach Mannheim berufen, woselbst ihm die beiden hier nachfolgenden Todesurteile zugestellt wurden:

Urteil in Untersuchungssachen gegen Veit Krämer aus Ramsthal, Philipp Lang, vulgo Hölzerlips, aus Rod im Nassauischen, Philipp Friederich Schütz, vulgo Mannen Friederich aus Koppenhagen, Andreas Petry, vulgo Köhlers Andres, von unbekanntem Geburtsort und Sebastian Luz, vulgo Basti, in Zwingenberg geboren wegen Mord, Straßenraub, Einbruch, Diebstahl und Vagantenlebens, wird auf amtspflichtiges Verhör, gehörte Verteidigung und erstattete Vorträge zu Recht erkannt:

Dass Veit Krämer des Straßenraubs mit Mord, auf der Bergstraße, an Rudolph Hahnhard aus Zürch und dem getöteten Jacob Rieder aus Winterthur; sowie des Straßenraubs mit Mord an den Juden Hajum David von Altenkirchen auf der Königsteiner Straße,  15 weiterer Straßenräube und 32 Einbrüche und Diebstähle,

Philipp Lang des Straßenraubs mit Mord auf der Bergstraße und weiterer 15 Straßenräube und 22 Einbrüche und Diebstähle, –

Friederich Schütz, des nämlichen Straßenraubs mit Mord und weiterer 4 Straßenräube und 12 Einbrüche und Diebstähle, –

Andreas Petry, eben dieses Straßenraubs mit Mord, und weiterer 7 Straßenräube und 14 Einbrüche und Diebstähle; –

Sebastian Luz gleichfalls des Straßenraubs mit Mord an der Bergstraße, weiterer 2 Straßenräubereien und 6 gewaltsamer  Einbrüche und Diebstähle für schuldig einbekannt und überwiesen zu erklären, daher, ihnen zur gerechten Strafe, andern zum warnenden Beispiel, mit dem Schwert vom Leben zum Tod zu bringen;  die Execution aber zuerst an Sebastian Luz, sodann an Andreas Petry, nach ihm an Friederich Schütz, hierauf an Philipp Lang und endlich an Veit Krämer zu vollziehen sei, und werden sämtliche Verbrecher zum Ersatz der Kosten, so weit ihr hinterlassenes Vermögen zureicht, samt und sonders, mit Ausnahme der auf ihre Hinrichtung ergehenden Unkosten, verurteilt.”

V. R. W.

Dessen zu Urkund ist gegenwärtiger Urteilsbrief nach Verordnung des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichtes ausgefertigt und mit dem größeren Gerichts-Insiegel versehen worden.

So geschehen Mannheim den 2ten Junius 1812

Frhr. von Drais. (L. S.) Dr. Gaum. vdt. Schott.

Wir Carl, von Gottes Gnaden Großherzog von Baden, Herzog von Zähringen, Landgraf von Nellenburg, Graf zu Hanau

wollen der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen; welches Wir mittelst eigenhändiger Unterschrift und unter Beidruckung unsers größeren Justiz – Ministerial – Insiegels beurkunden

Karlsruhe am 27ten Juni 1812

Carl. Frhr. v. Hövel. (L. S.)  Auf besondern höchsten Befehl  G. Walther.

Urteil in Untersucung-Sachen gegen

Veit Krämer und Matheus Oesterlein aus Sindolsheim,vulgo Krämer-Mathes,

Mord, Raub an dem Juden Hajum David von Altenkirchen, auch andern Raub, Diebstahl und Vagantenleben betr. wird auf amtspflichtiges Verhör, gehörte Verteidigung und erstatteten Vortrag, – nachdem über den Krämer und seine noch mehrere Verbrechen bereits das Urteil geschöpft worden ist, – mit weiterem Urteil zu Recht erkannt: “Dass Matheus Oesterlein des bei Königstein an 11 Juden verübten Straßenraubs und der damit verbundenen Ermordung des Juden Hajum David von Altenkirchen, sowie weiterer 10 Straßenräube und 15 gewaltsamer Einbrüche und Diebstähle für mitschuldig einbekannt und überwiesen zu erklären, daher zur gerechten Strafe mit dem Schwert vom Leben zum Tod zu bringen, auch zu Bezahlung aller Kosten, mit Ausnahme der auf seine Hinrichtung erlaufenden, zu verurteilen sei.”

 – V. R. W.

V. R. W.

Dessen zu Urkund ist gegenwärtiger Urteilsbrief nach Verordnung des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichtes ausgefertigt und mit dem größeren Gerichts-Insiegel versehen worden.

So geschehen Mannheim den 2ten Junius 1812

Frhr. von Drais. (L. S.) Dr. Gaum. vdt. Schott.

Wir Carl, von Gottes Gnaden Großherzog von Baden, Herzog von Zähringen, Landgraf von Nellenburg, Graf zu Hanau

wollen der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen; welches Wir mittelst eigenhändiger Unterschrift und unter Beidruckung unsers größeren Justiz – Ministerial – Insiegels beurkunden

Karlsruhe am 27ten Juni 1812

Carl. Frhr. v. Hövel. (L. S.)  Auf besondern höchsten Befehl  G. Walther.

Zugleich mit diesen Urteilen traf die weitere Weisung Großherzoglichen Justiz-Ministerii vom 22ten Juli 1812 ein: dass in Gemäßheit weiteren gnädigsten Befehls die Exekution der Urteile da hier, durch den Verfasser geschehen und dass die Justifikation Oesterleins nach dem Hölzerlips und vor dem Veit Krämer geschehen solle.

In einem cesonderen Reskripte wurde von der eben gedachten höchsten Stelle dem Verfasser eröffnet: dass sein neuerer unterm 19 Juli 1812 (über den einbekannten Todschlag von Seiten des dicken Buben) erstatteter Bericht rücksichtlich der Bestrafung des Matheus Oesterlein keine Änderung in der höchsten Entschließung hervorgebracht habe; – dann dass Großherzogliches Justiz-Ministerium es gern sehen werde, wenn er vor der Hinrichtung den Versuch mache, nähere Geständnisse und sonstige Notizen von den Inquisiten zu erhalten. Auch wurde seine Bitte um militärische Bedeckung für die Acte der Publikation und Exekution gnädigst von Sr. Königlichen Hoheit willfahrt.

Es wurde nun von dem Verfasser zur Publication der Urteile Dienstag der 28te und zur Execution Freitag der 31te Juli 1812 bestimmt und jede erforderliche Anstalt getroffen, um die Vollziehung mit Sicherheit vor sich gehen zu lassen und jedes, bei solchen Fällen leicht mögliche, Unglück von der hiesigen Stadt abzuwenden; – wozu Großherzogliches Neckarkreisdirectorium nach seinen vermehrten Kräften mit dem ihm eigenen Eifer vorgearbeitet hatte. Der Verfasser setzte indessen seine Besuche in den Gefängnissen fort. Bei einem solchen Besuche, Sonntags den 26ten Juli 1812

baten Manne Friederich und Basti vereint, wann es, wie sie glaubten, zur Hinrichtung komme, möge man sie doch ja nicht heimlich; – sondern unter freiem Himmel öffentlich hinrichten lassen; – und dankten recht sehr, als der Verfasser ihnen sein Ehrenwort gab: dass ihnen diese Bitte gewährt werden solle, wenn es je so weit mit ihnen komme. –

Der Großherzoglich Hessische peinliche Richter Herr Brill wurde, mit höherer Genehmigung, von dem Verfasser eingeladen, sich hierher zu begeben und den Versuchen: nähere Entdeckungen zu erhalten, soviel seine Inquisiten betreffe, zu assistieren.

Nach der gemachten Bestimmung wurde die Verkündung der Urteile am 28ten Juli 1812 in Gegenwart des Herrn Hofrichters und Staatsrathes von Schmiz und des Herrn Kreisdirektors von Manger, welche ihren Wunsch: diesem Akte beizuwohnen und die Inquisiten in diesem hochwichtigen Momente beobachten zu können, dem Verfasser geäußert hatten, – dann des Herren Prorektors, Oberhofgerichtsrathes Gambsjäger (des ihm ewig verehrungswürdigen Rechtslehrers des Verfassers) und des Herren Stadtamtmanns Ziegler von Mannheim, bewirkt. Es war gelungen, die sämtlichen Inquisiten bis zu dem Augenblicke ihrer Vorführung in gänzlicher Unkunde des Einlangens der Urteile zu erhalten, – und sie würden dessen Dasein wirklich erst im Gerichtssaale erfahren haben, wenn nicht das ganz außerordentliche Zusammenlaufen der Menschen und der Anblick des Militärs sie aufmerksam gemacht und ihnen verraten hätte: Es gehe etwas Besonderes vor. Und was konnte Besonderes vorgehen, wobei ihre Anwesenheit nötig war? – was Anderes, als die Urteilsverkündung? – Dem Andreas Petry war der Anblick der auf dem Marktplatze versammelten Menge und des gerade im Augenblicke seiner Vorführung eingerückten Militärs so auffallend, dass ihn mitten auf dem Markte eine Üblichkeit befiel, welche nahe am Rathause in eine völlige Ohnmacht überging. Er musste bewusstlos in das Innere des Rathauses getragen werden, wo er durch die für diesen Fall bereits vorbereitet gewesene ärztliche Hülfe nach und nach wieder zu sich gebracht wurde. Mit seinem Bewusstsein kehrte jedoch zugleich das Gefühl dessen, was ihm bevorstehe, zurück. Er war überzeugt, dass Todesstrafe gegen ihn erkannt sei; – und brach daher in lautes Heulen und Bejammern seines Zustandes aus.

Um ihm noch einige Zeit zur Erholung zu gönnen und um, durch das Betragen der Übrigen, seinen Muth wenigstens nur so weit zu erhöhen, dass er im Stande sei, die Verkündung des Urteils mit anzuhören, ließ man, nachdem das Gericht seine Sitze eingenommen hatte, zuerst den Mann e Friederich vorführen. Er trat mit Gleichgültigkeit und Frechheit auf, – verriet aber nur allzu deutlich, dass beide erkünstelt seien. Er sprach sogleich von seinem Todesurteile, als ob es schon verkündet sei, erklärte das Urteil für ungerecht, weil er zum Stehlen gezwungen worden sei und wiederholte nun, und so auch später wieder alles dasjenige, was er über die Schärfe der Polizei-Maaßregeln, wodurch man ihn von einem Orte zum andern getrieben habe, u. s. w. schon so oft gesagt hatte.

Hölzerlips sollte sogleich nach Manne Friederich vortreten, allein man musste ihm einige Zeit lassen, um sich zu sammeln, indem der Anblick der Menge und das Vorgefühl dessen, was folgen werde, auch auf ihn auffallend gewirkt hatte. Doch trat er mit Frechheit vor und verfiel sogleich in denselben Ton, wie Manne Friederich.

Veit Krämer erschien nach ihm; – gleichgültig wie immer. Zwar schien ihn augenblicklich ein inneres Gefühl ergriffen zu haben; – es verließ ihn aber, so wie er die Frechheit der beiden andern wahrnahm, und lachend sprach er nun mit diesen. Gegen alle Erwartung trat mit wahrhaft männlichem Mute Sebastian Luz vor; – und behauptete während der ganzen beinahe dreistündigen Sitzung ohne Wanken, ganz dieselbe Stimmung. Er war weder frech wie die Übrigen, – noch affektierte er Courage, – noch war er niedergebeugt.

Andreas Petry musste zu seinem Sitze geführt und auf demselben gehalten werden. Weder die Zusprüche des Verfassers, – noch die Aufmunterungen seiner Kameraden, welche, besonders von Seiten Manne Friederichs, in Verhöhnungen seiner Zaghaftigkeit übergingen, konnten ihn ermannen; – er heulte laut, schob alle Schuld seines Unglücks auf seine Eltern, behauptete, dass er unschuldig sterbe u. s. w. Einige Gläser Wein machten ihn endlich kräftiger.

Die Türen öffneten sich und das Todesurteil wurde diesen fünf, nebst der Bestätigung Sr. Königl. Hoheit verkündet. Da sämtliche schon vor der Verkündung sich überzeugt hatten, – dass wirklich das Todesurteil gegen sie ausgesprochen sei so erzeugte die wirkliche Verkündung desselben keine anderen, als die schon bemerkten Wirkungen. Sie räsonierten, jammerten, ermunterten sich untereinander abwechselnd. Endlich ergriff Hölzerlips das Wort und sprach laut:

Ich will meine Strafe leiden, aber wer diesen unschuldigen Buben (auf den neben ihm sitzenden Andreas Petry zeigend) zum Tode verurteilt hat, der kann es an jenem Tage nicht verantworten. Ich will gerne meinen Kopf hergeben, soll nur diesem Buben das Leben schenken!”

Auffallend musste diese Äußerung in diesem Momente, – auffallender musste sie darum erscheinen, weil sie aus dem Munde des sonst so gefühllosen und boshaften Hölzerlips ertönte, – am auffallendsten aber musste sie darum sein, weil noch am Abend zuvor Hölzerlips mit Andreas Petry, wegen eines durch Zufall verwechselten Hemdes, einen so heftigen Streit angefangen hatte, dass man ihre bereits verordnet gewesene Zusammensetzung in dasselbe Gefängnis contremandiren musste. Auch Manne Friederich stimmte dem Hölzerlips bei und fügte die weitere Erklärung hinzu: “Das Urteil gegen mich ist ungerecht; – ich will aber gerne den Tod leiden, – wenn man Euch übrigen das Leben schenkt.” Nachdem, mit vieler Anstrengung, die Gefühle der Inquisiten etwas beruhigt waren, wurde Matheus Oesterlein vorgeführt. Ruhig und gelassen, wie immer, trat er vor; bei Verkündung des Todesurteils aber, welches gerade er am wenigsten erwartet hatte, brach er in lautes Fluchen aus. Die frühere Szene erneuerte sich nun, Klagen wechselten wir Flüchen, Verwünschungen derjenigen, welche sie nicht geduldet und dadurch zum Rauben gezwungen hätten, mit mancherlei Bitten ab.

Hölzerlips sprach vom Appelliren, – Manne Friederich stimmte mit ein. Man erklärte ihnen den in hiesigem Lande bestehenden Geschäftsgang, nach welchem die Akten von selbst von einer Gerichtsstelle zur andern und selbst zum Landesherren übergehen. Sie beruhigten sich nach und nach und Hölzerlips erklärte: „Nehmen Sie mit  es nicht in übel, Herr Stadtdirektor, dass ich appellieren wollte, es gilt um meinen Hals, nicht um den Ihrigen!” Man verkündete nun sämtlichen bestimmt, dass der Morgen des 31ten Juli ihre Todesstunde herbeiführe. Veit Krämer und Manne Friederich verlangten ihre Weiber und Kinder, Andreas Petry seine Schwester Margarethe. – Ihre Bitte war ihnen schon gewährt. Man eröffnete ihnen, dass bereits die Vorkehrung getroffen sei, dass Sämtliche am folgenden Morgen von Mannheim hierher verbracht würden. Sie beruhigten sich dabei, – nur Manne Friederich erklärte weiter: Seine Frau müsse Tag und Nacht über bei ihm sein. Nun erklärten auch Hölzerlips und Krämer-Mathes: Sie verlangten, dass ihre Weiber und Kinder von Darmstadt hierher verbracht werden sollten. Man bemerkte dem Hölzerlips darauf, dass die Gewährung dieser Bitte unmöglich sei, weil seine Frau bereits von Darmstadt entlassen und ihr jetziger Aufenthalt unbekannt, jedes seiner Kinder aber fern von Darmstadt in Pension gegeben sei. – Den Oesterlein suchte man auch von seinem Begehren abzubringen, welches vorzüglich dadurch gelang, dass man ihm eröffnete habe, auf den Tag der Hinrichtung, eine allgemeine Kollekte an den Toren und in den Gasthöfen veranstaltet, deren Ertrag für die Hinterlassenen von Ihm, Krämer und Manne Friederich verwendet werden solle. Man befragte nun in sämtlicher Anwesenheit jeden, ob er einen Geistlichen verlange, und es zeigte sich, was man erwartet hatte.

Jeder wollte vor den Übriges, den Bramarbas spielen.  Manne Friederich äußerte: “ Das Abendmahl verlange ich; – aber keinen Pfaffen!” Hölzerlips erklärte: “Ich verlange drei Pfaffen, einen “katholischen, lutherischen und reformierten;  den, der mir an besten gefällt, behalte ich, die Andern jage ich fort.” Man erklärte ihm das Unschickliche einer solchen Äußerung, er beharrte aber mit Heftigkeit dabei. Um ihn auf eine andere Weise zu packen, erwiderte man ihm: “Man wird dir den Rewwe (Rabbiner) senden!” Er erwiderte: – – “Ja den Rewwe- Mosche (eine Benennung des Chlamones) den könnte ich brauchen, wenn ich boder (los) wäre; nun verlange ich ihn nicht;- aber einen Capuziner will ich haben.”

Nur mit höchstem Ernste und untermischter Laune konnte man ihn dazu bringen, es dem Verfasser zu überlassen, ihm einen braven Geistlichen zuzuführen. Andreas Petry wiederholte, mehr bewusstlos als boshaft:  „Es gibt keinen Gott, – was soll mir ein Gallach (Geistlicher). Ich habe nichts gelernt als Stehlen; als Dieb bin ich geboren, als Dieb will ich sterben usw.” Nichts konnte ihn, für den Augenblick, auf andere Gesinnungen bringen.

Veit Krämer erklärte: er habe nichts gelernt und wolle darum auch keinen Geistlichen. – Sebastian Luz und Oesterlein widersetzten sich zwar nicht, äußerten aber doch bestimmt, sie verlangten keinen Geistlichen. Man ließ sämtliche bis auf den Manne Friederich abführen und versuchte nun von ihm die Eingeständnisse der noch gegen ihn angezeigten Verbrechen zu erhalten; aber vergebens. Er erklärte,  es sei ihm leid, dass er soviel gesagt habe. Übrigens war er gelassener und verlangte nun selbst einen Geistlichen. Auch von Oesterlein war ein näheres Geständnis nicht zu erhalten, obschon man ihm die Hinrichtung des dicken Buben und dessen nähere Angaben gegen ihn, in seiner Todesstunde, eröffnete. Auch er bereute, schon zu viel gestanden zu haben. Hölzerlips und Krämer versicherten, nichts näheres angeben zu können.  Sebastian Luz sagte sogleich bei seinem Vortreten: Er bitte um einen Geistlichen. Er habe sich nur vor den andern gescheut, einen zu verlangen. Übrigens erklärte auch er, nichts weiter angeben zu können.

Andreas Petry hatte sich in der Zwischenzeit gefasst, er erschien sogar etwas munter vor dem Gerichte. Man eröffnete ihm das Geständnis des dicken Buben; er erkannte es für richtig, dass derselbe mit seinem, des Andreas, Vater und dem Stephan Heußner Bienen geholt habe; versicherte aber standhaft, dass er selbst nicht dabei gewesen sei. Nach mancherlei teils unbedeutenden, teils kindischen Gesprächen sagte Petry: Er habe mir etwas ganz allein zu sagen. Ich erhob mich von meinem Sitze und nahte mich ihm, ich musste mich nun zu ihm setzen und er eröffnete mir, dass ihm Joseph Jacobi, zu Mannheim im Zuchthause, selbst einbekannt habe: Er habe mit dem Pfeiffer den Straßenraub bei Lindenfels (1ter Theil – S. 131. No. CXXIX.) verübt. Diese Anzeige wurde protokolliert, um Großherzoglichem Hofgerichte vorgelegt zu werden. Schon während diesen Protokollieren fing Petry an, in sein voriges Jammern auszubrechen, und setzte dieses auch nachher noch eine Weile fort.

Der Verfasser suchte ihn zu beruhigen. Während dieser Unterhaltung sagte Petry dem Verfasser: “Aber, lieber Herr Direktor! Das hätten Sie doch wohl auch nicht geglaubt, dass ich zum Tode verurteilt würde? – Ach Gott! ich habe zwar gesagt, ich hätte geschlagen; – ich habe aber nicht geschlagen. Ich habe nur so gesagt, weil die Andern gesagt haben, ich solle es auf mich nehmen; es schade mir nichts. Ich habe nicht geschlagen.”

Der Verfasser suchte ihm begreiflich zu machen, dass sein Geständnis, geschlagen zu haben, so wie Er es abgelegt habe, der Beweggrund der gegen ihn erkannten Todesstrafe nicht sein könne; er begriff dieses und wurde nach und nach wieder heiterer und begehrte nun eine Klarinette. Man sicherte ihm eine zu; er bat aber so dringend, man möge sie ihm sogleich holen lassen, dass man ihm um so mehr nachgab, da auch die Meisten der Anwesenden für ihn sprachen. Wie ein Kind nach dem Spielzeug, – wie ein Wilder nach europäischen Glasknöpfen, griff er nach dem Instrumente und fing sogleich an, es zu probieren. Er gab es nicht mehr aus der Hand, – verhieß aber dagegen, dass er keinen Missbrauch davon machen, sondern nur von Zeit zu Zeit blasen wolle. Kaum aber war er auf dem Rückwege zum Gefängnisse; so fing er, auf der offenen Straße, auf der Klarinette zu spielen an, während Manne Friederich und Hölzerlips nicht aufhörten, zu räsonieren.

Man hatte die Einrichtung getroffen, dass Veit Krämer mit Basti; – Manne Friederich mit Petry, – Oesterlein mit Hölzerlips zusammen, Paarweise, in besondere Zimmer, während der Zeit des Tages, gesetzt wurden, um da den Unterricht und den Trost der Geistlichen zu empfangen. Nachts kam jeder in ein besonderes Blockgefängnis. In jedes von diesen war ein minderbedeutender Arrestant gesetzt und angewiesen worden, genau Acht zu haben, um etwaige Versuche zu Selbstmorden zu vereiteln. Vor den Gefängnistüren mussten die Gefangenwärter liegen und überdies befand sich innerhalb und außerhalb der Gefängnisse Militärwache. Man hatte von der Erklärung des Andreas Petry: er habe nicht geschlagen, um deswillen zum Protokolle nichts bemerkt, weil  diese seine Angabe mehr diskursive dem Verfasser, als förmlich dem Gerichte gemacht worden war;

2. weil, wenn auch wirklich Petry einen förmlichen Widerruf intentioniert gehabt hätte, ein solcher Widerruf eines vorher so oft und vielfach, vor besondern Urkundspersonen, abgelegten Geständnisses so geradezu und ohne Angabe spezieller Widerrufsursachen, keine Rücksicht verdienen konnte;

3. weil das Urteil, indem es auch gegen die notorisch und anerkanntermaßen nicht geschlagen habenden Hölzerlips und Krämer, und gegen den geschlagen zu haben leugnenden Manne Friederich die Todesstrafe aussprach, deutlich genug zeigte, dass es nicht bloß die geschlagen habenden, sondern alle und jede, welche direkten Antheil an dem Raube hatten, mit dem Tode bestraft haben wolle;

4. weil Andreas Petry nie einbekannt hatte: Er habe Hrn. Rieder totgeschlagen; – nie auch nur: er habe diesen geschlagen; sondern lediglich: Er habe dem einen Herren, welchem der Ring genommen worden sei (der noch lebende Hr. Hahnhard) als dieser schon bewusstlos da gelegen sei, auf die Schulter geschlagen, bloß damit Hölzerlips sähe, dass er schlage und nicht nachher ihn selbst schlage; – und weil daher, so wenig als ein solches Geständnis das Motiv zu Verhängung der Todesstrafe sein konnte, eben so wenig dessen Widerruf das Motiv zu Abänderung jener Strafe werden konnte; endlich –

5. weil Großherzogliches Justiz-Ministerium auf das ihm vorgelegte Geständnis des dicken Buben: den einen Juden bei Königstein totgeschlagen zu haben, dem Verfasser reserbirt hatte: dieses Geständnis habe keine Änderung in der höchsten Entschließung hinsichtlich der gegen Matheus Oesterlein erkannten Todesstrafe hervorbringen können. Am Nachmittage nach der Morgens bewirkten Urteilsverkündung begleitete der Verfasser die Geistlichen, ihrem eigenen Verlangen gemäß, zu den Gefangenen, um sie leichter mit denselben bekannt zu machen und um, im Falle Einer oder der Andere unartig werden wollte, sogleich bei der Hand zu sein. Krämer und Luz, beide katholisch, fand man ruhig und gefasst.

Beide empfingen den Herrn Dechant Günther und den Herrn Caplan Holdermann willig, versprachen alle Lehren anzunehmen und in allem zu folgen. Beide waren katholisch getauft, aber auch nichts weiter; weder zur Beichte noch zum Nachtmahle waren sie je gegangen, und beklagten darum nur, dass sie gar nichts wüssten. Unser würdiger, allgemein verehrter Herr Dechant Günther übernahm den Unterricht des Krämer und wies jenen des Basti dem so tätigen als gefühlvollen Hrn. Caplan Holdermann zu. Wie weit es diesen beiden Geistlichen, durch rastloses Bemühen, gelungen sei, dem Ziele näher zu kommen, werden die Leser bald vernehmen.

Gelegenheit dieses Besuches befragte ich den Krämer und Luz besonders um wegen dem langen Andres sicher zu sein, noch einmal über den Raubmord bei Laudenbach. Sie beharrten bei ihren Angaben, sowohl hinsichtlich des langen, als hinsichtlich des Köhlers – Andres.

Die Belehrung und Bekehrung des Hölzerlips und Mathes Oesterlein hatte Herr Kirchenrath Wolf; – die des Mannefriederichs und Andreas Petry Herr Stadtpfarrer Dittenberger übernommen. Beide erste empfingen ihren Geistlichen bereitwillig; – nur war Hölzerlips noch barsch und frech. Oesterlein bat bei dieser Gelegenheit um Verzeihung, weil er bei der Urteilsverkündung geflucht habe. Mannefriederich empfing den ihm bestimmten Geistlichen nach seiner Art mit vielem Anstande. Andreas Petry war aber durchaus nicht zu bewegen, die Geistlichen auch nur anzuhören, indem er stets lautjammernd das wiederholte, was er schon Morgens, bei der Urteilsverkündung, geäußert hatte.

Trotz ihrer erklärten Bereitwilligkeit zur Bekehrung hörten Hölzerlips und Mannefriedrich nicht auf, bald diese, bald jene unsinnige Bitte aufzustellen. Bald wollten sie ihre Frauen Tag und Nacht bei sich; bald Wein, Bier und Brandwein vollauf, bald Loßlassung von ihren Fesseln haben, bald alle sechs zu einander gesetzt sein, bald Musikanten, um tanzen zu können u. s. w.; als sie aber den ernstlichsten Abschlag erhielten, wurden sie nach und nach ruhiger. Kaum jedoch hatten Abends die Geistlichen sie verlassen, so simulierte Hölzerlips eine Ohnmacht, und verlangte, vereint mit dem Mannefriederich, die Pfaffen sollten die ganze Nacht bei ihnen bleiben. Er fand kein Gehör. Sie lärmten noch eine geraume Zeitlang in ihren Gefängnissen fort, – und wurden erst gegen 2 Uhr Morgens stille. Am 29. Juli. Morgens kamen die Weiber und Kinder Krämers und Mannefriederichs, dann Petrys Schwester an. Man traf die Einrichtung, dass diesen Weibsleuten zuerst ernstlich bedeutet, und dass sie dann auch von den Geistlichen belehrt wurden, wie sie sich zu verhalten hätten; und dann wurden sie zu den Ihrigen gelassen. Diese Besuche wurden an diesem und dem folgenden Tage noch einige mal wiederholt.

Ich übergehe die Schilderung dieser Szenen, da ich Moricks Feder nicht zu führen vermag.

Ich fand den Krämer und Luz an diesem Morgen ganz hingegeben, und Nachmittags, wo ich sie noch resignirter fand, hatte ich zugleich die Freude, von den Geistlichen zu vernehmen, dass sie, gegen ihre eigne Erwartung, so weit mit beiden gekommen seien, dass sie dieselben am folgenden Morgen zur Beichte und zur Communion zulassen würden. Die vier Andern fand ich, mit Ausnahm Petrys, in gleicher Stimmung. Aber auch dieser war nicht mehr, wie gestern. Der Anblick seiner Schwester und das, was diese ihm sagte, hatte sein Innerstes ergriffen; dazu kam nun noch, dass auch Hölzerlips ihn bat: sich zu bekehren; und als nun ich, durch die Geistlichen hievon unterrichtet, ihn, der sich mit Vertrauen und Liebe an mich hing, ebenfalls recht freundlich bat: es zu tun / versprach er es – und hat redlich Wort gehalten.

 Gegen 2 Uhr Nachmittags kam ich von dieser Mission nach Hause und fand ein Schreiben des Herrn Kreisdirectors von Manger, worin er mir eröffnete, dass der Herr Hofrichter von Schmiz, ergriffen von dem, was sich bei der Urteilsverkündung ereignet habe, und von dem Anblick der jugendlichen Gestalten des Andreas Petry und Sebastian Luz, dem Andrange seines Herzens folgend, dem großherzoglichen Staats- und Cabinets-Rathe Herrn Brauer das ganze Ereignis gemeldet, und denselben gebeten habe, bei Sr. Königlichen Hoheit sich, unter Eröffnung dieser Verhältnisse, dahin zu verwenden, dass Andreas Petry und Sebastian Luz begnadigt würden; – dass auch Er, der Herr Kreisdirector, in einem beigebogenen Schreiben das Gleiche tue, und mich auffordere: über den Vorgang bei der Urteils-Publication ein umständliches Protocoll aufzunehmen wann ich dieses geeignet fände, und dann dasselbe mit eigenem Beischreiben an Herrn Staats- und geheimen Cabinetsrath Brauer einzubefördern. Unmittelbar hierauf traf, auf die Veranlassung des Herrn Hofrichters von Schmiz (welcher, da er zu jener Zeit, als die Sache bei großherzoglichem Hofgerichte vor war, noch im großherzoglichen Staatsrathe saß, die näheren Verhältnisse Sache nicht kennen konnte) Ort großherzoglichen Hofgerichte die Weisung an den Verfasser ein: die sämtlichen Inquisiten sowohl über die Unschuldigerklärung des Andreas Petry, als über dessen Wiederruf: geschlagen zu haben, umständlich zu vernehmen, und das Protocoll sogleich an großherzogliches Oberhofgericht einzusenden.

Obschon ich überzeugt sein musste, dass diese Vernehmung durchaus zu nichts, im rechtlichen Wege, führen konnte, so schritt ich doch, den Geschäften und Empfindungen, welche in diesen Tagen auf mich einstürmten, beinahe unterliegend, den schönen Zweck ehrend, und selbst Hoffnung fassend, sogleich zum Werke.

Veit Krämer und Sebastian Luz, obschon sie schon einmal befragt waren, wurden noch einmal  vernommen; sie erklärten wiederholt: sie beharrten durchaus und in allen Punkten bei ihren Protokollen.

Ebenso erklärte sich Hölzerlips. Andreas Petry gab, auf ausdrückliches Befragen, an: sein ganzes Protocoll seie durchaus in allen Punkten wahr bis auf den Einzigen, dass er dem einen Schweizer den Schlag auf die Schulter gegeben habe. Auch seine übrigen einbekannten Verbrechen seien alle von ihm, der Wahrheit gemäß, einbekannt. Mannefriedrich äußerte: er bleibe bei seinem Protocolle stehen; so gerne er dem Petry Gnade gönne; so bereit er sei, seinen Kopf für denselben hin zu geben, so müsse er doch, und zwar gerade in diesem Augenblicke, bei der Wahrheit bleiben. Andreas Petry habe wirklich, wie er angegeben und denselben unter das Angesicht behauptet habe, geschlagen.

Andreas Petry, hiermit bekannt gemacht, wiederholte die Versicherung: nicht geschlagen zu haben.

Zu einer Confrontation zwischen beiden wollte man, in diesem Augenblicke, nicht mehr schreiten. Da an diesem Tage der Herr peinliche Richter Brill von Darmstadt angekommen war, so wieder holte man die schon Morgens gemachten Versuche: weitere Angaben von den Inquisiten zu erhalten auch diesen Nachmittag – vergebens. Um halb 8 Uhr Abends kam der Verfasser von diesem Geschäfte na Hause und war eben im Begriffe, das aufgenommene Protocol abzusenden, als ein Ordonanz – Officier Sr. Königlichen Hoheit bei ihm anfuhr und ihm die gnädigste Weisung brachte: sich Angesichts dieses mit ihm nach Mannheim zu begeben, um dort einer von Höchst Ihrem Oberhofrichter, sogleich bei der Hinkunft, zu veranstaltenden Ratsversammlung beizuwohnen; nach deren Vollendung aber sogleich wieder auf seinen Pesten rückzukehren. Diese höchste Weisung bezeichnete als ihre Veranlassung das Schreiben des Herrn Hofrichters von Schmiz an Herrn  Staatsrath Brauer, welches dieser Sr. Königlichen Hoheit vorgelegt hatte; und enthielte die schöne, des Erhabensten, Gerechtesten Regenten würdige Äußerung:

Se. Königliche Hoheit seien immer geneigt, lieber Gnade als Schärfe ergehen zu lassen, aber auch zu gewissenhaft, um die Folgen, welche eine ungeeignete Begnadigung auf das Wohl und Wehe schuldloser Staatsbürger, ja der Inquisiten selbst, künftig haben könne, auf Ihre Verantwortung zu nehmen; und verlangten darum die Beratung der zu veranstalten befohlenen Versammlung darüber: ob in dem vorliegenden Falle eine Begnadigung stattfinden könne, ohne die bestehenden Gesetze zu verletzen und ohne den Bürgern Ihres Staates gefährlich zu werden?”

Um 9 Uhr Abends traf der Verfasser in Mannheim ein. Die Rathsversammlung, nach der Höchsten Vorschrift bestehend aus dem

Herrn Staatsrathe und Oberhofrichter Freiherrn von Drais,

  • dem Herrn Staatsrathe und Hofrichter von Schmiz,
  • dem Herrn Oberhofgerichtskanzler Siegel,
  • dem Herrn Oberhofgerichtskanzler Freiherrn v. Hohenhorst,
  • dem Herrn Vice – Hofrichter Freiherrn von Zyllnhardt,
  • dem Oberhofgerichtsreferenten in dieser Sache, Herrn Oberhofgerichtsrathe Gaum,
  • dem Hofgerichtsreferenten, Herrn Geheimen Justiz-Rathe
  • von Weiler, – und –
  • dem Verfasser,

wovon jedes Mitglied sein Votum besonders abzugeben angewiesen war, begann ihre Sitzung gegen 10 Uhr und vollendete sie nach 2 Uhr Nachts. – Das Schreiben des Herrn Hofrichters von Schmiz, das neuste Protocoll des Verfassers, die betreffenden Stellen aus den beiden Relationen wurden verlesen; und man war, ohne alle Widerrede, darüber einig: dass der geahndete Widerruf Petrys, selbst wann er erfolgt wäre, oder noch erfolge, durchaus auch nicht die leiseste rechtliche Rücksicht verdiene; dass also die Versammlung sich lediglich auf die, Beantwortung der wegen der Begnadigung aufgestellten Frage zu beschränken habe. – Das einzige, was rechtlich für Andreas Petry hätte angeführt werden können, war der Umstand, dass sein Alter, da sein Geburtsort unbekannt war, nicht urkundlich bewiesen werden konnte; und dass es daher möglich sei, dass er zur Zeit, als das Verbrechen verübt wurde, noch nicht volle 18 Jahre alt gewesen sei; – allein in den Verträgen war dieser Zweifel durch Berufung auf die Rechtsregel: Maltia supplet aetatem, bereits gelöst worden.

Dennoch aber war es gerade das Majus oder Minus der Bosheit, auf welches man alleine hier, wo von Gnade die Rede war, bei Andreas Petry, der durchaus keinen Begriff von Recht und Unrecht hatte, und bei dem gerade das, was natürliches Gefühl ihm sagen konnte, durch die Erziehung, welche ihm seine Eltern gaben, widerlegt wurde, Rücksicht nehmen konnte. – Beinahe ganz dieselbe Rücksicht verdiente Basti; nur war bei ihm urkundlich nachgewiesen, dass er zur Zeit der Tat über 18 Jahre alt war. Dahingegen hatte er weit wenigere Verbrechen, als Petry verübt, und welchen Eindruck hätte es auf das Publikum machen müssen, wenn der durch das schon verkündete Urteil zuerst zum Tod bestimmte, folglich als der Wenigstschuldige anerkannte Luz hätte hingerichtet und der schuldigere Petry begnadigt werden sollen? Von diesen Ansichten ausgehend, und mit Rücksicht darauf, dass die Begnadigung Beider noch wohltätig zur Entdeckung der übrigen Gauner, besonders des langen Andres, benutzt werden könne, wurde in den einzelnen Votis, mit geringen Abweichungen, die Begnadigung räthlich, – zugleich aber auch lebenslängliche Detention und weiter nötig erachtet, dass, im Falle Begnadigung erfolge, diese motiviert ausgesprochen, und der Begnadigungsbrief nach der öffentlichen Urteils. Verkündung laut verlesen werde.

Um 4 Uhr Morgens, den 3o Juli, kam der Verfasser nach Heidelberg zurück, von wo der Ordonanz-Offizier sogleich seine Reise mit den Akten nach Karlsruhe (wohin er das Schreiben des Herrn Kreisdirectors von Manger mitnahm) fortsetzte. Um 8 Uhr Morgens hatten Veit Krämer und Sebastian Luz ihre Beichte vollendet. Ich benutzte den Augenblick, sie noch einmal zu befragen, erhielte aber die Versicherung: dass sie nichts weiter wüssten. Mit der innigsten Rührung und eigenen Auferbauung wähnte ich ihrer Kommunion bei. Sie waren wahrhaftig bekehrt.

Unmittelbar nach dieser Handlung erhielte ich von Herrn Amtmann Ziegler die Benachrichtigung, dass der über die neuesten Angaben des Andreas Petry vernommene Joseph Jacobi diese Angaben widersprochen habe, und daher auf ausdrücklichen Befehl großherzoglichen Hofgerichts hieher verbracht werde, um mit dem Andreas Petry konfrontiert zu werden. Wirklich wurde auch Joseph

Jacobi zugleich mit dieser Nachricht hierher gebracht. Als er hier eintraf, war Andreas Petry gerade im Begriff, sich mit dem Hölzerlips, Mannefriederich und Mathes Oesterlein zur Beichte und zum Abendmahle vorzubereiten; man nahm daher Bedenken, in diesem Augenblicke so geradezu zur Konfrontation zu schreiten; doch eröffnete man dem Andreas Petry den Widerspruch des Joseph Jacobi. Er beharrte bei seiner Angabe: dass ihm Joseph Jacobi selbst seine Teilnahme an dem Straßenraub bei Lindenfels erzählt habe, und erklärte weiter: er sage es dem Jacobi zwar ungern unter das Angesicht, weil er voraussehe, dass dieser sagen werde: er wollte auch vor seinem Tode noch die Leute in das Unglück bringen; doch wünsche er den Joseph Jacobi noch vor seinem Ende zu sehen, und sei, wenn man es haben wolle, bereit, ihm die Wahrheit seiner Angabe, ohne alle Zänkerei, unter die Augen zu behaupten.

Man ließ den Joseph Jacobi eintreten; Andreas Petry behauptete ihm ruhig und gleichmütig in das Angesicht: “Er (Jacobi) habe ihm (Petry) zu Mannheim in dem Gefängnis selbst erzählt, dass er (Jacobi) mit dem Pfeiffer den Straßenraub bei Lindenfels verübt habe.” Joseph Jacobi: kaltblütig: “Das ist nicht wahr.”

Andreas Petry, ihm die Hand reichend. “Lieber Bruder, ich kann dir nicht helfen; ich bin zum Tode verurteilt und muss nun die Wahrheit sagen. Es ist wahr, du hast es mir erzählet. Ich bitte dich, deine Brüder und alle Kameraden zu Mannheim um Verzeihung, wenn ich euch beleidigt habe.”

Joseph Jacobi, Petry’s Hand ergreifend. “ Ich habe dir nichts erzählet; aber ich verzeihe dir, und werde es meinen Brüdern und den Andern ausrichten.”

Beide beharren bei ihren Widersprüchen. Da der Akt der Beichte und des Abendmahls für die vier Genannten bereits vollständig vorbereitet war, so ließ man den gleich den Übrigen zur evangelisch lutherischen Religion sich bekennenden Joseph Jacobi Zeuge dieses Aktes umso mehr sein, als die Geistlichkeit nichts dagegen hatte, die vier übrigen Inquisiten es begehrten, Jacobi selbst es wünschte, und man hoffen durfte, damit wenigstens vielleicht einen Theil jenes Eindrucks auf die bereits Verurteilten Complices hervorzubringen, welcher durch die frühere Verkündigung ihrer Urteile, ohne sie Zeugen bei Verkündung der Haupturteile sein zu lassen, verloren gegangen war. Die Reden und Gebete des so würdigen Herrn Kirchenrates Wolf und des gleich achtbare Herrn Stadtpfarrers Dittenberger zermalmten die vier von ihnen bereits zur vollsten Selbsterkenntnisse gebrachten Inquisiten gänzlich. Mit Ergebung und wahrer Andacht empfingen sie, nach abgelegter Beichte, das Abendmahl.

Sichtbar und tief war der Eindruck, welchen dieser Act auf Joseph Jacobi machte. – – Mannefriederich ergriff das Wort, bat seine Kameraden um Verzeihung, und forderte sie auf, sich unter einander selbst und alen Kameraden in Mannheim zu verzeihen. Erschütternd war die Scene, als alle sich wechselseitig untereinander tiefgerührt, und dann auch den Joseph Jacobi, umarmten, diesen baten, allen Kameraden in Mannheim zu sagen, was er gesehen habe, und sie wiederholt in ihrem Namen um Verzeihung zu bitten. – Joseph Jacobi versprach beides, ohne übrigens auch nur mit einer Silbe des Straßenraubs bei Lindenfels zu erwähnen.

Ich war, durch die Arbeiten der vorigen Tage, durch die schlaflose Nacht, durch die Auftritte dieses Morgens, und durch das, was ich auf den folgenden Tag noch besorgen musste, dann durch das Bewusstsein dessen, was mir bevorstand, beinahe völlig erschöpft; dennoch wollte ich mein Versprechen, welches ich Morgens dem Krämer und Luz geben musste: sie heute noch einmal zu besuchen, nicht unerfüllt lassen. Ich besuchte sie noch Abends spät; – sie waren sehr froh darüber. Ich fand sie ganz so wie Morgens. Mannefriederich war auf den Einfall gekommen: seine Frau solle ihn auf das Schafott begleiten; mit seinem Kinde auf dem Schoße wolle er gerichtet sein. Nur mit der höchsten Mühe konnte er dahin gebracht werden, von diesem Begehren abzustehen.

Da die Inquisiten nach der, von ihnen jedoch widersprochenen, Anzeige des stumpfärmigen Zimmermanns, früher einmal in den Gefängnissen geäußert hatten: in der letzten Nacht wollten sie einen Streich machen, an welchen man denken werde; – man solle hier die Freude nicht haben, sie hinrichten zu sehen; so ließ man Abends jeden noch einmal genau visitieren; – und siehe da! es fand sich bei Hölzerlips, zwischen jedem Socken seiner Strümpfe und dem platten Fuße, die Hälfte einer Schere. Er ließ sie sich stillschweigend nehmen, ohne zu sagen, wo er sie erhalten, wozu er sie bestimmt gehabt habe. Nachts um 12 1/2 Uhr überbrachte dem Verfasser ein anderer Ordonanz-Officier Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs Höchst dessen gnädigste Entschließung auf das Protocoll der in der Nacht zuvor zu Mannheim gehaltenen Ratsversammlung.

Den Verlauf des folgenden Tages werden die Leser anfüglichsten aus dem darüber verfassten hier folgenden Protokolle entnehmen.

Actum Heidelberg den 31. Juli 1812.

Praesentes Großherzogl. Stadt-Direktor Herr Pfister, dann die Großherzogl. Stadt- Amtleute

Herr Weber,  von Pötz, Wilckens.

In Untersuchungssachen gegen Veit Krämer und Compl. und den Mathes Oesterlein.

Pto. Rapinae et Homicidii.

Schon mit Tagesanbruch waren die Blutfahnen auf dem Balkon des Rathauses ausgesteckt worden. – Sämtliche Inquisiten wurden Morgens 5 Uhr aus ihren Gefängnissen auf das Rahhaus, unter hinlänglicher Bedeckung, gebracht, wo ihnen die weißen Totenkleider angelegt, und dann je zwei und zwei in einer besonderen Stube, unter dem Zuspruch der Geistlichen, belassen wurden.

Nach 8 Uhr versammelten sich, in feierlicher Auffahrt, die Beamten, und um halb 9 Uhr fuhr ebenso der Stadtdirektor zum Rathause, begleitet von dem Großherzogl. Hessischen peinlichen Richter, Herrn Brill von Darmstadt, welcher von diesseits eingeladen, und von der Großherzoglich Hessischen Regierung zu Darmstadt beauftragt worden war, sich hierher zu verfügen, und den Versuchen, nähere Entdeckungen zu erhalten, beizuwohnen.

Da sämtliche Inquisiten ausdrücklich verlangten, noch einmal von dem Stadtdirektor Abschied zu nehmen, so wurde ihnen, so schwer es auch den Stadtdirektor ankommen musste, diese Bitte willfahrt; sämtliche waren, teils mehr teils weniger gefasst, und versicherten noch einmal, nichts weiters anzugeben zu haben. Veit Krämer berichtigte einen früher von ihm gegen Philipp Heeg angezeigten Straßenraub, dahin, dass nicht dieser, sondern der kleine Johann (Treber) und der Ueberrheiner Wilhelm diesen Straßenraub, zwischen Tippich und Bartholomäusroth, verübt, und ihm dieses in Prozelten selbst erzählt hätten, worüber man ein besonderes Protokoll aufnahm. –

Um halb 10 Uhr Morgens wurde das Blutgericht zum ersten und um 4 auf die Uhr zum zweiten Male angeläutet. Mit dem Schlag 10 Uhr ertönte das dritte Zeichen mit der Glocke, und mit diesem setzte sich der gesamte hiesige Stadtrat mit dem Oberbürgermeister Mays und zweiten Bürgermeister Walz, in Bewegung, um als Urkundspersonen dem Akte beizuwohnen. Im feierlichen Zuge begaben sie sich auf den hierzu schicklich bereiteten Gerichtsplatz , auf dem Markte, unmittelbar vor dem Rathause, und erwarteten, vor den zu beiden Seiten des Platzes für sie auf gestellten, schwarz überzogenen Stühlen stehend, die Ankunft des Gerichts; der Oberbürgermeister und der Bürgermeister die Gerichts-Stäbe tragend. Gleich nach diesen zog das Gericht selbst, unter   Vertretung der 4 Gerichtsdiener mit Partisanen, in den Gerichtsplatz ein, und nahm auf dem schwarz belegten, erhöhten Theile, an dem schwarz dekorierten Gerichtstische seinen Sitz ein. Neben ihm nahm der peinliche Richter von Darmstadt und Stadt-Physikus Professor Zipf seinen Platz.

Unmittelbar hierauf wurden die 6 Inquisiten, begleitet von den Geistlichen, mit Wache vorgeführt, und nahmen, dem Gerichte gegenüber, die ihnen bereiteten Sitze ein. Die Richter hatten ihre entblößten Degen auf dem Gerichtstische kreuzweise vor sich liegen; der Oberbürgermeister und Bürgermeister überbrachten dem Stadtdirektor die Stäbe.

Der Stadtdirektor gebot durch einen Schlag mit dem Stab, und einen lauten Ruf: Stille! Die 4 Gerichtsdiener, welche mit den Partisanen an den 4 Ecken des Gerichtplatzes standen, riefen, einer nach dem andern, sich gegen die zahllos versammelte Menge wendend: “ Stille!” Der Stadtdirektor : “ Herr Amtmann Weber, ich frage Sie: Ob dieses gegenwärtige Blutgericht nach den Vorschriften unserer Gesetze und nach unserem Gerichtsgebrauche gehörig besetzet sei?” Amtmann Weber: “Es ist es.”

Der Stadtdirektor: “Herr Amtmann von Pötz, ich frage Sie: In wessen Namen ist dieses Blutgericht zu eröffnen und zu hegen?” Amtmann v. Pötz: “Im Namen des allmächtigen Gottes; Im Namen Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs von Baden, unseres allergnädigsten Fürsten und Herrn, und Im Namen Höchst dessen nachgesetzter höchst- und hochpreislichen Justiz- Collegien.”

Der Stadtdirektor : “ Herr Amtmann Wilckens, ich frage Sie: Ob es gerechte Zeit sei, dieses Blutgericht zu eröffnen?” Amtmann Wilckens: “Es ist gerechte Zeit.”

Der Stadtdirektor : “ Ihr Diener dieses peinlichen Gerichtes, rufet!” – Die 4 Gerichtsdiener einer nach dem andern: „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“ Der Stadtdirektor, aufstehend mit entblößtem Haupte, den Stab in der Hand: “Weil dann also dieses Blutgericht gehörig besetzt, und da es gerechte Zeit ist, es zu eröffnen; so eröffne ich es hiermit, im Angesichte des Himmels “ und der Erde! Schlag mit dem Stabe: “Im Namen des allmächtigen Gottes, des Obersten der Richter; welcher die Herzen und Nieren der Menschen ergründet, und die Haare auf ihren Scheiteln gezählt hat.

Schlag mit dem Stabe: “Im Namen Seiner Königlichen Hoheit, Carls, von Gottes Gnaden Großherzogs zu Baden, Herzogs zu Zähringen, Landgrafen zu Nellenburg, Grafen zu Hanau so. unsers  allergnädigsten Fürsten und Herrn, und seiner nachgesetzten höchst- und hochpreislichen Justiz- Collegien, und – Schlag mit dem Stabe : “Kraft meines Amts!”

Nach einer kleinen Pause: “Setzen wir uns, meine Herren!”

Sitzend: “Das Blutgericht ist eröffnet und gehegt; darum tretet hervor, Ihr, die ihr, durch euere Verbrechen, die Langmuth des Allmächtigen erschöpft, das Schwert der Gerechtigkeit selbst gegen euch gewendet habet:

Du Sebastian Luz, vulgo Basti,  Du Andreas Petry, vulgo Köhlers Andres,

Du Philipp Friederich Schütz, vulgo Manne Friederich,

Du Philipp Lang, vulgo Hölzerlips,

Du Veit Krämer – Und Du Matheus Oesterlein, vulgo Krämer Mathes!

tretet hervor, und vernehmet wiederholt, hier unter Gottes freiem Himmel, in Gegenwart der von euch beleidigten und gekränkten Menge, vor diesem Großherzoglichen Blutgerichte, das Straf-Urteil, welches die höchsten Richter dieses Landes, zwar mit blutendem Herzen, aber auch mit der höchsten Gerechtigkeit, gegen Euch ausgesprochen haben, – und welches selbst die angestammte Milde unsers erhabensten Souveräns nicht zu mildern vermochte; weil gegen Euch Recht ergehen muss – vor Gnade.”

“Herr Amtschreiber Gruber, verkündigen Sie die Urteile!”

Amtschreiber Gruber verlas stehend die Urteile. Bei der Vorlesung der allergnädigsten Bestätigungen erhob sich jedes Mal das ganze Gericht mit entblößtem Haupte. Der Stadtdirektor: “Mit dem Schwerte sollet ihr also hingerichtet werden vom Leben zum Tode ! Gerecht, im höchsten Grade gerecht ist dieses Urteil; – verdient von Euch, verdient im höchsten Grade ist diese Strafe! – Euer Leben ist verwirkt;  auf dieser Erde ist für Euch kein Bleibens mehr; – ich zerbreche, mit diesem Stabe (er wurde gebrochen und den armen Sündern vor die Füße geworfen) zugleich das Band zwischen der Menschheit und Euch. – Nur bei Gott könnet Ihr noch Gnade finden! Wehe hier über euch! Wehe ! !  Wehe ! ! !“

Die Beamten : Wehe ! Wehe ! ! Wehe ! ! ! Die Gerichtsdiener: Wehe ! Wehe ! ! Wehe ! ! !

Nach einer Pause erhob sich der Stadtdirektor von seinem Sitze, trat mit entblößtem Haupte vor den Gerichtstisch und sprach: “Allmächtiger! Allgütiger ! Allbarmherziger Gott! Ich danke dir, mit gerührtem Herzen, dass du mich das härteste vollbringen ließest; – und nun bitte ich dich: Verleihe mir auch die Gnade, dass ich das vollbringe, was mein eigenes Herz erheischt; was so mancher Redliche unter dieser Menge wünscht, was selbst die vorstehenden armen Sünder verlangten, und was der gnädigste  Wille meines erhabensten Souveräns ist. Mit erhöhter Stimme: “ Andreas Petry und Sebastian Luz, – – Euch ist das Leben geschenkt ! “

Lauter Jubel der Menge; – wiederholtes Rufen der Menge: “Es lebe der Großherzog von Baden ! Er lebe! Er lebe hoch!”

Sebastian Luz sank in dem Augenblicke der verkündeten Gnade ohnmächtig vom Stuhl zur Erde. Nur durch die angestrengtesten Bemühungen des Physikats konnte er, nach und nach, wieder zu sich gebracht werden; immer aber befielen ihn, von Zeit zu Zeit, wieder Schwachheiten.

Andreas Petry war im ersten Momente tief erschüttert, zeigte aber gleich darauf die lebhafteste Freude auf seinem Angesicht. Die 4 übrigen Inquisiten bezeugten laut ihre Zufriedenheit über die Begnadigung des Petry und Luz; – besonders bemerkbar war die hohe Freude des Manne Friederich, womit er die Begnadigung vernahm. Er umarmte beide Begnadigte, und seinem Beispiele folgten die drei Übrigen. Nach einer Pause Der Stadtdirektor : “ Herr Amtschreiber, verlesen Sie den Begnadigungsbrief.”

Er wurde verlesen, wie folgt:

Wir Carl , von Gottes Gnaden Großherzog zu Baden, Herzog zu Zähringen, Landgraf zu Nellenburg c. c. , Graf zu Hanau e. c.

Auf die Uns vorgelegte Nachricht über den Hergang der Publikation des von Uns genehmigten Todes-Urteils wider Veit Krämer und dessen Mitschuldige über einen mit Mord verbundenen Raub an der Bergstraße und über die aus diesem Anlass von vorigen Richtern an Uns gebrachten Begnadigungs-Anträge, haben Wir Uns gnädigst entschlossen, wegen der Jugend und Unerfahrenheit des Andreas Petry und Sebastian Luz, dahin Gnade für Recht ergehen zu lassen, dass diesen beeden alsdann, wann ihnen ihr Todesurteil nochmals förmlich verkündet sein wird, durch Vorlesung dieses Unsers Reskripts angekündigt werden soll, wie Wir ihnen das Leben geschenkt und sie, nach gehabtem Anblick der an den übrigen Verurteilten vollzogenen Todesstrafe, zu lebenslänglich vollkommen gesicherter Aufbewahrung im Zuchthause zu Mannheim dahin zurückgebracht werden sollen, welches alles also zu vollziehen ist.

Hieran geschieht Unser Wille. Gegeben Karlsruhe den 30ten July 1812.

Carl. Frhr. von Edelsheim. Auf Sr. Königl. Hoheit besondern Höchsten Befehl

Weiß.

Nach einer weitern Pause.

Der Stadtdirektor: “Der Nachrichter trete hervor !“

Er erschien. Der Stadtdirektor: “Nachrichter, ich übergebe die hier vorstehenden Armen-Sünder: Philipp Friederich Schütz, Philipp Lang, Mathes Oesterlein und Veit Krämer, Euch und euren Gehilfen,  und befehle Euch bei euerm Ede: sie in Gemäßheit der von Großherzogl. Oberhofgerichte ausgesprochenen und von Sr. Königlichen Hoheit allergnädigst bestätigten Urteile, wovon ich

Euch hiermit Abschriften reiche, zu richten mit der Schärfe des Schwertes der Gerechtigkeit, vom Leben zum Tode.”

“Thuet nun Eure Schuldigkeit; – Wir haben die unsrige getan.”

Nach einer Pause: “Das Blutgericht ist geendet ! “ Das Gericht erhob sich, nebst den Urkundspersonen, warf seine Sitze um, und entfernte sich im Zuge auf das Rathaus. Dahin wurden auch die zwei Begnadigten gebracht. Man ließ sie hier sich laben, und suchte sie auf die Scene, welche ihnen noch bevorstand, vorzubereiten. Sie zeigten sich dazu gefasst, und erklärten: sie wollten der Hinrichtung r echt genau zusehen, um sich desto lebhafter daran erinnern, und sich desto gewisser vollkommen bessern zu können. Nachdem die 4 Verurteilten entfesselt, von den Knechten des Nachrichters gebunden, und auf die dazu bereiteten Wagen verbracht worden waren, auf welchen auch die Geistlichen Platz nahmen, fuhr das Gericht, von der hiesigen Bürger – Cavallerie eskortiert, auf den Richtplatz ab.

Beglaubigt

Gruber

Continuatum auf dem Richtplatze ungefähr 4 Stunde vor Heidelberg gegen Mannheim zu, zwischen der Mannheimer Chaussee und der Eppelheimer Straße, um 34 auf 12 Uhr Mittags, den 31ten Juli 1812.

P. D. Q. S. Man fand bei der Ankunft den Kreis durch die hiesige dazu bestellte Bürgerschaft gehörig um das errichtete Schaffot geschlossen, die Ein- und Ausfahrten und die übrigen Umgebungen durch das Großherzogl. Militair-Commando hinlänglich gesichert, und eine unübersehbare Menge Volkes versammelt. Das Gericht nahm auf der für dasselbe errichteten, unmittelbar an das Schaffot anstoßenden, schwarz belegten, durch Draperie dekorierten, erhöhten Tribüne am schwarzbedeckten Tische, auf schwarz überzogenen Stühlen, seinen Sitz, der peinliche Richter von Darmstadt und das Stadt- Physikat hatten es hierhin begleitet.


Unmittelbar nach der Abfahrt des Gerichtes waren die 4 armen Sünder auf 2 Wagen, und dann auch die 2 Begnadigten, Petry und Lutz, auf einem dritten Wagen, unter Bedeckung eines Großh. Dragoner-Commando’s zu Pferd und der Heidelberger bürgerlichen Grenadier-Compagnie, nach der Richtstätte abgeführt worden.  Nachdem sie, unter Assistenz der Geistlichen, auf dem Schaffote angekommen waren, und auf der rechten Seite desselben die 4 Verurteilten – die 2 Begnadigten aber unterhalb der Tribune des Gerichts ihre Sitze eingenommen hatten, gebot der Stadtdirektor:

„Stille! “

Die 4 Gerichtsdiener wiederholten dieses Gebot.

Der Stadtdirektor erhob sich von seinem Sitze und sprach: “Im Namen Sr. Königlichen Hoheit, Carls, von Gottes Gnaden Großherzogs zu Baden, Herzogs zu Zähringen, Landgrafen zu Nellenburg, Grafen zu Hanau c. c., unsers allergnädigsten Fürsten und Herrn, gebiete ich, von Obrigkeitswegen, bei Leib und Gut, den Rachrichter keine Hinderung zu tun; auch wann ihm, wo Gott vor sei! etwas misslingen sollte, keine Hand an ihn zu legen; – denn auch Er stehet unter der Gesetze Schutz, und sollte Er fehlen, so wird auch Ihn sein Richter finden. Darum Friede ihm ! Friede ! ! Friede ! ! ! “

Die 4 Gerichtsdiener einer nach dem andern:  “Friede dem Nachrichter Friede ! ! Friede ! ! ! “

Der Stadtdirektor : “ Nachrichter, thuet nun, was Eures Amtes ist.”

Manne Friederich ging munter und immerfort mit den ihm Nächststehenden auf dem Schafotte sprechend zum Stuhle; setzte sich, und 15 Minuten nach 12 Uhr Mittags flog sein Kopf vom Rumpfe. Hölzerlips nahte sich zwar gefasst, aber mit sichtbarem innerem Kampfe dem Stuhle; auf ihm sitzend verlangte er Wein. Er erhielt ihn, und trank in langem Zuge. 25 Minuten nach 12 Uhr lag sein Kopf zu seinen Füßen, Krämer-Mathes nahte sich still und ruhig, wie er stets war, dem Stuhle, nahm Platz, und war 3o Minuten nach 12 Uhr gerichtet. Veit Krämer wurde in lautem Jammer, weinend und um Mitleid umherflehend, da er allein nicht gehen konnte, zum Stuhle gebracht. 35 Minuten nach 12 Uhr war auch sein Lebensfaden durchschnitten.

Die Leichname der Gerichteten wurden, so wie die Köpfe, nach jedem Streich durch eine angebrachte Öffnung unter das Schafott gebracht. Nach vollendeter Hinrichtung salutierte der Nachrichter das Gericht mit dem Schwert, und fragte: “ Richter, habe ich recht gerichtet?”

Der Stadtdirektor: “Ihr habt gerichtet, wie Recht und Urteil spricht; – darum habt Ihr recht gerichtet.”

Der Kirchenrat und erste evangelisch-lutherische Stadtpfarrer, Herr Wolf, schloss diese traurige Scene mit einer ebenso vortrefflichen als sachgemäßen Rede. a Das Gericht fuhr in derselben Ordnung wie es gekommen war, auf das Rathaus zurück. Die beiden Begnadigten, Petry undLuz, hatten aufmerksam und tief erschüttert der Hinrichtung zugesehen, und wurden vor der Hand, unter sicherer Bedeckung, in ihre Gefängnisse zurückgebracht. –

Zur Beglaubigung

C. Gruber, Stadtamtsschreiber.

Heidelberg, 31. Juli 1812

Ich konnte mich durchaus nicht dazu verstehen, diese beiden, in zweifacher Hinsicht so zu sagen Neugebornen Menschen unmittelbar von dem Richtplatze, – oder auch gleich in den ersten Tagen nach der Hinrichtung, in das Zuchthaus abliefern zu lassen. All der Eindruck, welchen die hiesigen Ereignisse auf sie gemacht hatten, wäre mit einemmale zernichtet worden, und die ganze Absicht der höchsten Begnadigung unerreicht geblieben, wenn man diese Menschen so geradezu wieder unter die Hefe der Menschheit, unter ihre alten Kameraden in dem Zuchthause zurückgeworfen hätte. Nur dann, wenn dort gehörige Vorbereitungen für sie getroffen sind, wenn für ihren Unterricht, für ihre Anhaltung zu einem Gewerbe, allenfalls zur Weberei, gesorgt wird, kann es möglich werden, – und ich behaupte es nun, was ich früher selbst bezweifelte: wird es geschehen, dass Beide dereinst noch als gebesserte brauchbare Menschen erscheinen und vielleicht sogar, im gereiften männlichen Alter, sukzessive, mit Vorsicht der Freiheit rückgegeben werden können und dass damit, zum Wohle der Menschheit, praktisch bewiesen werden kann, dass mein früher in diesem Theile aufgestellter Plan ausführbar sei. Auch scheint die Besserung dieser Menschen wirklich die höchste Absicht Sr. Königlichen Hoheit zu sein; da jene Beide nicht zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt wurden, sondern nur zu lebenslänglicher vollkommen gesicherter Aufbewahrung in das Zuchthaus zu Mannheim rückgeliefert werden sollen. Von meiner Seite ist die geeignete Veranlassung dazu erfolgt – und die Herzen und die Kräfte jener Edeln, welche zu Erhaltung des Lebens jener Unglücklichen gewirkt haben, bürgen mir dafür, dass sie es nicht dahin kommen lassen, dass die Geretteten im Zuchthause moralisch und physisch ertödtet werden. Ich wollte, die ganze Welt könnte die beiden Jungen sehen, wie sie jetzt find; sie würde meine Wünsche, meine Hoffnungen mit mir teilen.

Am 4ten August Morgens wurden sie nach Mannheim abgeliefert. Zum Schlusse mögen hier, als weitere Beiträge zur Charakteristik der Gauner noch folgende Züge stehen. Am Tage vor der Hinrichtung bat mich Manne Friederich: ihm ganz allein Gehör zu geben. Ich Tat es und er sagte mir: Er habe einst einem kranken Manne, dessen Name ihm entfallen sei, versprochen; für ihn eine Kerze in die Kapelle bei Okstatt, und eine andere in die Burgkapelle zu Friedberg zu geben; – habe dieses aber nicht getan. Er bitte mich nun, ich möge sorgen, dass in jede der gedachten Kapellen zwei Kerzen, eine für ihn, die andere für jenen Mann, und dann auch zwei für ihn nach Walldürn abgegeben würden. Am Tage der Hinrichtung begehrte auch Hölzerlips mich ganz allein zu sprechen. Ich sprach ihn. Er eröffnete mir: Als er zu Bergen eingesessen und seine Frau ihm treulos geworden sei, habe er Gott verheißen: Er wolle, wenn er wieder frei werde, eine Wallfahrt, bei Wasser und Brod, nach Walldürn machen. Obschon er lutherisch sei, so habe er doch diese Wallfahrt geloben zu dürfen geglaubt, weil seine Frau katholisch sei. Er habe sie aber nicht gemacht und bitte mich, statt dessen eine Kerze dahin zu senden. Auf dem Schafott rief er mich unablässig zu sich, – ich wäre sehr gern noch zu ihm gegangen; allein ich musste befürchten: von ihm und den Andern, wie das immer der Fall war, mehrere Stunden lang aufgehalten zu werden. Herr Kirchenrat Wolf fühlte dieses und erklärte ihm, dass ich ihn nun nicht mehr sprechen könne. Er bat mich nun, ihm den Gefangenwärter Schleicher zuzusenden. Es geschah, und nun sagte er diesem: Er habe mich zwar gebeten, für ihn statt einer von ihm gelobten Wallfahrt nach Walldürn, eine Kerze dahin zu senden; er halte dieses aber nicht für genug, und fordere daher seine des Schleichers, Frau auf: für ihn diese Wallfahrt zu machen. Mir scheinen diese Züge das zu bestätigen, was ich längst von dieser Menschenklasse dachte. Ihre Religion ist nichts weiter als ein ihnen selbst nur dunkel, instinktartig vorschwebender Deismusss. Deutliche Begriffe von Religion und dem Unterschiede der Confessionen haben sie nicht, – wohl aber kennen sie diesen Letzten. Im Notfalle greifen sie, wie der Schiffbrüchige, nach Allem, wovon sie Rettung hoffen zu können glauben. So scheint mir nun auch die Äußerung des Hölzerlips bei der ersten Urteilsverkündung: “Ich will drei Pfaffen, einen katholischen, lutherischen und reformierten ” kein boshafter Mutwille, sondern hoher Ernst gewesen zu sein, – obschon er diesen hinter jenen zu verstecken suchte. Er wollte, um seiner Seligkeit gewiss zu sein, wie man zu sagen pflegt, das Bett an den vier Zipfeln nehmen.