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Raubgesindel in Aschaffenburg und Spessart

von Hans D. Klar, 1. Vorsitzender des Traditionsvereins Kgl. Bayr. Stammtisch Aschaffenburg 1985 e.V.

Zur Vorgeschichte

314 Stadtstaaten, Kleinstaaten und Kleinststaaten, durch Verträge oder verwandtschaftliche Beziehungen ihrer Herrscher, Grafen, Fürsten, Herzöge mehr oder weniger miteinander verbunden, oft zerstritten, bildeten im 19. Jahrhundert das Deutsche Reich. 

Das deutsche Kaiserreich
Das Heilige Römische Reich um 1789

Man muss sich dieses zersplitterte Staatengebilde wie einen bunten Flickenteppich vorstellen. Preußen und Österreich hatten die Vorherrschaft. Sie bestimmten praktisch die politische Lage in jenem Deutschland, und sie waren Rivalen. Ein gewisses politische Recht hatten noch die wohlhabenden kirchlichen Staaten, dann Hannover, Sachsen, Württemberg und Bayern. Mit dem Frieden von Lunéville nahm Napoleons große Flurbereinigung auf dem Gebiet der deutschen Staaten ihren Anfang. Der kleine Korse schuf Deutsche Mittelstaaten, um politische Gegengewichte zu Preußen und Österreich zu bilden. Die kirchlichen und alle kleineren Staaten wurden aufgelöst und ihre Gebiete verteilt. Aus den 314 einzelnen Staaten waren noch ganze 34 übrig geblieben. Nach dem Reichsdepudationshauptschluß von 1803 hatte sich der Flickenteppich total verändert. Zum neu gegründeten Rheinbund, der unter Napoleons Protektorat 16 west- und süddeutsche Staaten zusammenfasste, gehörte unter anderem die Großherzogtümer Baden, Hessen-Darmstadt, Frankfurt mit Aschaffenburg und Würzburg, in deren Gebiet die Waldgebirge des Spessarts und des Odenwaldes lagen. Ihre Einwohner erlebten nicht nur immer wieder Truppendurchzüge, Einquartierungen, Sondersteuern und überhebliches Militär, das jedem Bauern Tische und Bänke zerschlug, wenn nicht jeder Soldat ein Pfund Fleisch pro Tag erhielt.

Sie lernten die Marodeure, die plündernden Nachzügler der Soldateska, und die Deserteure kennen, die den Krieg auf eigene Faust und Rechnung betrieben und die Diebesbanden, die seit 1806 Odenwald und Spessart für einzelne Reisende völlig unpassierbar gemacht hatten. Die Existenzgrundlage der Menschen waren Handwerk und Landwirtschaft. Fabriken gab es nicht, nur die eine oder andere Manufaktur. Jeder Mensch hatte in diesem Staatsgebilde seinen festen Platz. Der Bauer war und blieb Bauer, der Handwerker Handwerker, der Beamte Beamter und der Soldat war und blieb Soldat. Nur wenigen gelang es damals, die Grenzen, in die sie ihre Herkunft gesetzt hatten, zu überschreiten. So wundert es nicht, dass es Leute gab, die aus den verschiedensten Gründen nicht mehr in diesem engen Bereich leben konnten oder mochten. Wen die Gesellschaft einmal ausgestoßen hatte, für den gab es keinen Weg zurück. Vor ihm lag das unruhige Leben des Vaganten – des Fahrenden. Diese Bevölkerungsschicht war immer der staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Sie passte nicht in den Rahmen des absoluten Staates. Warum sollte der Staat für sie sorgen?

Die zahlreichen Kriege ließen versprengte Soldaten, Deserteure, vertriebene Bauern auf der Landstraße zurück und sie wurden zu Vaganten. Wandernde Handwerksburschen fanden Gefallen an dem freien Leben. Viele Bauern mussten wegen Missernten und der viel zu hohen Abgaben ihre Höfe aufgeben und mancher Bürger wurde wegen Teuerung und wirtschaftlichen Ruins auf die Straße getrieben. Das Heimatrecht wurde diesen Menschen in der Regel verweigert, denn jeder Ort war verpflichtet, für seine Armen zu sorgen.

Das Schweinfurter Kreuz
Schweinfurter Kreuz
ANNO/1609/DEN 2. APRIL/
IN DIESEM MONAT TAG UND JAHR
ALHIER JEMMERLICH VMGEBRACHT WAR/
GEORG BACKMUNDT MIT GROSSER REV/
EIN FROMMER FLEISSIGER DIENER TREV/
HIERONYMI RUEFFERS GEWISS /
VON SCHWEINFURT HERGERITTEN IS/
GOTT GEBE IHM EIN FRÖHLICH VRSTEND/
UND BEHVT VOR UNGLVCK BEHEND

Auf der Straße gab es viele Vaganten, die sich dort schon seit Generationen durchschlugen. Sie waren meist Angehörige richtiger Vagantenberufe wie Scherenschleifer, Löffelschnitzer, Korbflechter, Kesselflicker und Spieler, ein Erfordernis, dass ihre Existenz ermöglichte. Sie mussten in einer Welt leben, die sie bestenfalls duldete, immer misstrauisch beobachtet und verfolgt. Wen wundert es da, dass viele aus dieser Schicht heraus ihren Weg in die Kriminalität antraten und zu Räubern wurden.

Kein Geldbote oder Postreiter, aber auch keine Eskorte für die Kaufleute und Passagiere der Postkutsche konnte die Wälder durchqueren, ohne dass die einzelnen Banden für einen rechtzeitigen Achsenbruch sorgten. Sie kannten alle Hinterhalte und Furten durch ihre guten Ortskenntnisse und profitierten durch den Zwist der einzelnen Ämter der vier Großherzogtümern, die in 15 verschiedene Herrschaftsgebiete zersplittert waren und die keinen Hauch ihrer Kompetenzen an den Nachbarn verlieren wollten. Somit konnten die Gesetzesbrecher bei ständigem Standortwechsel nicht dingfest gemacht werden, da sie sich bei schnellem Grenzübertritt dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörde leicht entziehen konnten und zunächst einmal auf sicherem Boden waren. 

Das Schweinfurter Kreuz

Frühere Nachrichten über die heute so genannten Spessarträuber datierten schon aus den Jahren 1395/96, als Frankfurter Kaufleuten eine Ladung Wein “abhanden kam”.

Chaotisch war die Lage auch im Dreißigjährigen Krieg. Von einer räuberischen Gräueltat berichtet das Schweinfurter Kreuz nahe Rohrbrunn an der Bundesstraße 8. Im Jahre 1609 wurde ein Schweinfurter Kaufmannsgehilfe, der für seinen Herrn unterwegs war, unweit von Rohrbrunn von Räubern angehalten, ausgeraubt und anschließend totgeschlagen. Noch heute kündet das Schweinfurter Kreuz von dieser Freveltat.

Das Wirtshaus im Spessart entsteht

Am 18. April 1637 berichtete der Postmeister Gerhardt Vrints in Frankfurt an den Fürsten Taxis, dass die “Patrullien” des schwedischen Generalmajors Ramsay im Spessart bei Rohrbrunn den durchreitenden Posthalter von Esselbach überfallen und ihm vier Pferde abgenommen hätten. Dringend wurde gebeten, zwischen Aschaffenburg und Esselbach, mitten im Spessart, eine Poststation zu errichten. Weder die Fürsten von Thurn und Taxis noch der Kurfürst von Mainz waren an dieser Sache interessiert. Sie fürchteten wahrscheinlich, dass sich niemand finden würde, der in Rohrbrunn an der einsamen Straße als Postmeister tätig sein wollte. 

Der kurmainzische Oberjäger Melchior Uzuber, wohnhaft in Aschaffenburg, richtete im Jahre 1686 an die kurfürstliche Kanzlei in Mainz ein Gesuch, in dem er darin bat, auf eigene Kosten, mitten im Spessart bei Rohrbrunn eine “Würtschaft” bauen zu dürfen. Dort sollten Reisende zu Fuß und zu Pferd einige Bequemlichkeiten finden. Von “Reisenden mit Wagen” war noch nicht die Rede, da auf den schlechten Wegen sich kein Reisender einer Kutsche anvertraute. Der Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim war einverstanden. Dem mutigen Uzuber wurde ein Stück Land, unweit vom “Schweinfurter Kreuz”, als Bauplatz zugewiesen. Einfach war die ganze Baugeschichte nicht. Es musste eine entsprechende Waldfläche abgeholzt werden, um Platz für einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb zu schaffen, denn es musste ja eine ganze Familie ernährt werden. Es wurden schließlich ein Wohnhaus mit Gastraum, ein Stallgebäude, ein Kutscherhaus und etwas später sogar eine kleine Kapelle gebaut. Es wurde ein hoher starker Zaun aus Eichenbalken rings um die Gebäude gelegt, denn in der Einöde mussten die Menschen gegen Überfälle geschützt werden. Nach etwa zwei Jahren war alles vollendet. Uzubers mühten sich redlich, aber der karge Waldboden ergab keinen ertragreichen Acker und der Gewinn war bescheiden. Mit Schreiben vom 22. März 1688 machte der Kurfürst von Mainz dem Postmeister in Frankfurt den Vorschlag, die Postroute zwischen Esselbach und Bessenbach zu teilen. In Rohrbrunn sollten die Postpferde gewechselt werden. Uzuber konnte man als Posthalter einsetzen und ihm einige Nahrung für seine Dienste zubilligen. Der Vorschlag fand die Zustimmung von Fürst Alexander von Thurn und Taxis und wurde bald danach in die Tat umgesetzt. Uzuber war mit der Beförderung zum Posthalter mehr als einverstanden. Am 1. Juli 1688 begannen die Postdienste in Rohrbrunn. Als im Jahre 1690 die ersten fahrenden Posten durch den Spessart gingen, war dies nur möglich, weil Melchior Uzuber zwischen Esselbach und Bessenbach seine Poststation hatte, in der die Pferde gewechselt werden konnten. Das Wirtshaus hieß damals nicht “Wirtshaus im Spessart” sondern einfach “Uzuberei”, und diesen Namen behielt das Haus bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Melchior Uzuber starb 1699 in seinem geliebten Rohrbrunn und seine Söhne Jonas und Mathias traten sein Erbe an. Sohn Remakel ging als Gastwirt nach Aschaffenburg und Sohn Johann wurde kurfürstlicher “Laubmeister” in Rothenbuch.

Spessartidyll und Räuberromantik

Wilhelm Hauff
Wilhelm Hauff

Bekannt gemacht durch den Dichter Wilhelm Hauff, dem Märchenschreiber und Geschichtenerzähler, der im Mai des Jahres 1826 in der Postkutsche den Spessart durchquerte, war es für ihn kein Phantasiegebilde sondern Realität. 
Heimatforscher haben heraus gefunden, dass das heutige “Gasthaus zur Post” im Mespelbrunner Ortsteil Hessenthal der tatsächliche Ort des von Hauff beschriebenen Wirtshauses sei. Lange hatte man angenommen, dieses stünde in Rohrbrunn, halbwegs zwischen Wertheim und Aschaffenburg (dort findet man jetzt eine Autobahn-Raststätte). Im Jahre 1826 fuhr Wilhelm Hauff in einer Postkutsche durch den Spessart und machte dabei einen Halt in Hessenthal, wo er Geschichten über Räuberbanden aufgeschnappt haben könnte. 

So beschreiben es auch Schriftsteller in ihren Erinnerungen, wie unser Aschaffenburger Schriftsteller Franz Schaub in seinem Büchlein: “Das Wirtshaus im Spessart”, Wahrheit und Legende: 

“Das Wirtshaus war uns zu eigen, weniger als Gasthaus im heutigen Sinne, sondern als romantische Kulisse einiger Stunden, die wir in dem Weiler Rohrbrunn mitten im Hochspessart verbrachten, nach Krieg und Zerstörung auf einen neuen Anfang hoffend, mit einer heimlichen Sehnsucht nach der poesievollen Romantik, mit der einst Hauff seiner Zeit einen unverwechselbaren Rahmen gab. Das kleine, unansehnliche Haus, auf der Höhe bei Rohrbrunn hatte den Krieg unversehrt überstanden. An seiner Stirnseite hatte der Maler Bergmann-Franken den Namen mit Schnörkel verziert und die Aufforderung zum Eintreten aufgepinselt. Bei August Grein, der letzte einer langen Reihe von Wirten gab es keine Polizeistunde. Man konnte singen und musizieren so lange man wollte und mach einer rezitierte irgendwelche Verse, die gerade in Mode waren.” 

Der unvergessene, immer weinfroh gestimmte Anton Schnack, der damals in Kahl residierte wie er sagte, schrieb im Wirtshaus passend: 

“Wer aber dies begehrte: Wald, urhaftes Rauschen, Einsamkeit, märchenblauen Dämmer, und bösen Tierschrei, fürchterlichen sagenhaften Mond, zog durch den Spessart. Wo Stürme sind, viel Schnee im Winter, wo Brausen irgendwo entsteht, riesiger Rauch sich hinzieht über Kohlenmeiler, wo Echo hallt aus Äxten und dumpfen Schlag der Hämmer. Wo Wolken immer dunkel sind in ihrer Fahrt darüber, wo Nebel an den Morgen dampft in Holz und Rohr, wo Silberquellen gehen aus blasser Schlucht, vorbei an Akelei und schlankem, gelben Ginster. Wo Wild vorbeizieht, wundervoll ruhig, in großen Rudeln … !” 

Frankfurts liebenswürdiger Chronist Richard Kirn schrieb damals: “Das Wirtshaus liegt breit und fast prunkend auf der Höhe. Die Wanderer, auf welchem Gefährt auch immer, fallen wie von selbst in seine Tür. Im Wirtshaus im Spessart, da muss man gewesen sein. Im Gastzimmer hängen allerlei Sprüch´ an der Wand: “Die Jäger und die Hund – die fressen alle Stund!” Im Saal neben dem Gastzimmer kann man tanzen. Britzebreit sitzt ein Märchen-Untier, ein grasgrüner Kachelofen, mitten drin und an der Decke hängt ein Leuchter, in den das letzte Posthorn eingelassen ist.”

Julius Maria Becker
Julius Maria Becker

Und der Aschaffenburger Heimatdichter Julius Maria Becker berichtet: “Das Wirtshaus im Spessart taucht düster vor uns auf. Hier erzählt man noch von nächtlichen Schatzgräbern, von gespensterhaften Grenzstein-Verrückern und umherwandernden Müllern, die manche Art von Schuld zwischen Mitternacht und Hahnenschrei verbüßen. Hier ist die Wolfsschlucht des “Freischütz” und dicht daneben die Rauchsäule des Kohlenbrenners, der Axtschlag des Waldarbeiters und das kärglich bemessene Stück Brot auf dem Küchentisch.” 

Amorbachs Chronist Wilhelm Müller schrieb in seinen Erinnerungen: “Wenn man die Straße verfolgt, die vom Main her quer durch den Spessart leitet in fränkisches Land und zum rebenumsponnenen Würzburg – mäßig steigt sie hinan und erklettert den Grad des Gebirges langsam, behaglichen Schrittes gewinnt man die Höhe im Schatten prächtigen Waldes – erreicht man ein einsames Wirtshaus im Grünen, schlicht, wie´s der Fuhrmann liebt und der Waidmann nimmer verachtet, kehrt er vom Pirschgang heim, – ein Wirtshaus gemacht für Poeten!” 

Der Schriftsteller Ludwig Tieck aus Dresden schreibt über seine Spessarteindrücke: “Freunde nahmen mich von Würzburg aus in den Spessart mit. Wir erfreuten uns des Waldgebirges, der herrlichen Aussichten, die sich links und rechts in die Unermesslichkeit der Wälder boten. Und wir fanden eine Schenke, baumbeschattet und einsam wie ein verwunschenes Haus in einem Märchen.” 

Gleich Tieck pries auch Friedrich Schlegel den Spessart: “Im Spessart, zwischen Frankfurt und Würzburg, hörte ich das Alphorn blasen von einem Knaben. Eigentlich müssten es zwei sein die sich antworten. Dieses aber lässt sich nicht beschreiben, man muss es selbst hören. Der Spessart ist der dichteste und größte Wald, den ich gesehen, dagegen sind die Wälder zwischen Mainz und Metz klein und durchsichtig.” 

Wilhelm Hauff schrieb damals an seinen Freund Tieck: “Ich fand einen gar wundersamen Wald, eine Schenke so recht zum Verweilen und Träumen, und in den Erzählungen der Reisegefährten geisterten wilde verwegene Gesellen, die mich neugierig machten und schreckten.” 

So ist das Wirtshaus in das Bewusstsein der Menschen gerückt und bis heute noch gegenwärtig, obwohl es nicht mehr steht. Rohrbrunn hütet sein Vermächtnis, mehr noch als das Märchen von Wilhelm Hauff, das mit den Worten endet: “Und so geschah es, dass der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurückdachte an das Wirtshaus im Spessart”.

Die Räuber

Es ist also anzunehmen, dass der Dichter Wilhelm Hauff im Gasthaus “Zur Post” in Hessenthal eine Rast einlegte, als er den Spessart durchquerte und dass ihm dort die Räubergeschichten erzählt wurde. Möglicherweise diente das Gebäude an der alten Spessarter Chaussee als Vorbild für sein “Wirtshaus im Spessart”, denn er erzählte: “Es war ein langes aber niedriges Haus, ein Karren stand davor und nebenan im Stalle hörte man Pferde wiehern.” Hier war nach der Steigung von Bessenbach eine weitere Pferdewechselstation, bei der frische Pferde in Doppelbespannung die Kutschen zu den Höhen des Spessarts nach Rohrbrunn brachten, wo dann erneut frische Pferde angespannt wurden. 

Die authentische Geschichte von den Räubern, die damals noch in aller Munde war, handelte von den “Stradekehrer”, die der Fürstprimas von Dalberg im Jahre 1810 steckbrieflich im Spessart suchen ließ und die im Jahre 1812 hingerichtet wurden. In Mespelbrunn wird immer noch ein Räubersteckbrief aufbewahrt, den Fürstprimas Dalberg unterschrieben und herausgegeben hat und das ein Schlaglicht auf die damaligen Verhältnisse wirft. 

Räubersteckbrief

Auszug aus dem Original im Schloßmuseum Mespelbrunn

Die von Sr. Hoheit des Herrn Fürsten-Primas der rheinischen Konföderation für das souveräne
Fürstenthum Aschaffenburg angeordnete Landes-Direktion
ir den Aemtern beiliegende Notizen und Signalements über Raub und Diebstähle in dem Königreiche Würtemberg mit um die erforderlichen Sicherheits-Maßregeln einzuschlagen

Aschaffenburg den 19ten Februar 1810
Graf zu Elz, Präsident
Vdt. Rottwit, Sekretär

gehöriges Schreiben ist Dato bei hiesigem Postamte zu besonderer Empfehlung übergeben, worüber dieser ein Vierteljahr giltige Schein ertheilet worden Mainz den 20ten Febr. 1796
Kaiserl. Reichs – Postamt hieselbst

Beschreibung der Vaganten

Signalements

Geliebte des Zunder-Alberts (Albert Krämer), dieselbe heißt Elisabetha, geborene Albertin, war ehedem an einen umherziehenden Krämer Namens Selser verheuratet, solche wird die Fulder oder Metzgers Liese genennt, ist 40 Jahre alt, 5 Schuh 4 Zoll groß, von rundem, glatten Gesicht, schwarze Haare, hoher Stirne, grauen Augen, schmaler Nase und großen platten Mund. Dieselbe trägt einen blautuchenen Rock, ein solches Mützchen, ein Halstuch von weißen Leinwand, Stöckleins Schuhe und eine Haube von hellblauen Kattun. Hat 2 Knaben von 9 und 10 Jahren und ein Mädchen von 5 Jahren bei sich. 

Veit Krämer (Sohn des Zunder-Alberts), dieser ist von Romstell gebürtig, 20 – 21 Jahre alt, 5 Schuh 2 Strich groß, von proportionierten Wuchse, hat schwarze kurze abgeschnittene Haare, eine hohe Stirne, graue Augen, eine aufgeworfene Nase und aufgebogenen Mund, ein gebogenes Kinn, ein volles Gesicht mit kleinen Pockennarben und leidet durch zugefügte Schläge am Gehör. Derselbe versteht etwas von der Schneider-Profession, handelt mit Zunder. Seine Kleidung besteht in einem dunkelblauen Frack mit weißen metallenen Knöpfen, einem braunen seiden Halstuche, einer Weste von rothem Schweizer-Kattun mit röthlichen Blumen, auch einer weißen Piquet-Weste, einer langen Hose von Leinwand, Bendelschuhe und einer grauen Pudelkappe. Derselbe mag auch eine lange dunkelblaue Hose und ein solches Kamisol tragen. 

Dessen Geliebte, die Tochter der Fulder-Liese, Namens Eva, ist 20 oder 21 Jahre alt, von Laufach bei Aschaffenburg gebürtig, etwas über 5 Schuh groß und schlank, hat ein längliches Gesicht, schwarze Haare, eine niedrige Stirne, braune Augen, eine schmale Nase und kleinen Mund. Dieselbe trägt einen bunten braunen Rock von Beidergemenge, ein hellblautuchenes schon zerrissenes Mützchen, eine blaugedruckte Schürze von Leinwand, geht manchmal ohne Schuhe und hat eine Würzburger Haube. Solche hat einen Knaben von einem Jahr bei sich. 

Aktenmäßig wird über Veit Krämer berichtet: Sein Vater ist Albert Krämer, vulgo Zunder-Albert, ein alter Gauner, welcher schon seit mehreren Jahren zu Würzburg im Gefängnis sitzt und auch dort der wohlverdienten Strafe entgegensieht. Von der Fulder-Lies und ihrer Tochter Eva aus Laufach, beide Begleiterinnen von Albert und Veit Krämer wird berichtet: Beide Weibsleut sind lebhaft, stehts muntere Geschöpfe, welche als Bänkelsängerinnen die Märkte besuchen und so das zu verdienen strebten, was Veit entweder nicht verdienen konnte, oder wenn er es verdient hatte nicht abgab, weil er es größtentheils zu vertrinken pflegte. Veit wurde ganz im Gaunerleben und zu diesem erzogen. Er hatte nie eine feste Wohnstätte gehabt. Schon in seinem 15. und 16. Lebensjahr wurde er von seinem Vater zu Einbrüchen mitgenommen und teilte mit ihm die Beute. Wenn er nicht als der verworfenste, ausgemachteste Bösewicht erscheint, so ist dieses weniger seiner Erziehung und der Mühe, welche sich sein Vater gab, ihn zum vollendeten Räuber zu bilden, zuzuschreiben, als der Eigenthümlichkeit seines Charakters, welcher zwar ein Übermaß von unendlichem Leichtsinn, aber auch eine große Gabe Gutmüdigkeit, oder wenn man lieber will, Schwäche zu enthalten scheint. Er selbst hat bei einer Confrontation dem Hölzerlips, welcher erklärte, wenn er je wieder frei würde, wolle er ein ehrlicher Mann werden, ganz offen entgegnet: Wenn du heut los kommst, so schuppst (stiehlst) du wieder, ehe drei Tag vergehen!

Der Tatort

Da die Wege noch schlecht und nicht so häufig begangen oder befahren waren wie heute, verfinsterten die Schatten riesengroßer Fichten und Buchen sowie uralter Eichen den schmalen Fahrweg, auf dem vereinzelt Reisende zwischen Frankfurt und Nürnberg den Wald durchquerten. Es war der Höhepunkt der Räuberzeit und das Waldland so verschrien, dass Gendarmerie die Postwagen mit wertvoller Fracht eskortierten, den an den Grenzen des 1814 an Bayern gefallene ehemalige Fürstentum Aschaffenburg trieb sich allerlei Gesindel herum. Damals war das Stoßgebet eines Nürnberger Kaufmann´s sehr verbreitet der da sagte: “Lieber Gott, du hast mir aus dem Mutterleib geholfen, du wirst mir auch über den Spessart helfen!” 

Tatsächlich wurde eine Reise durch das Waldgebiet als Tortur erlebt. Die plumpen, kaum gefederten Kutschen und Frachtwagen fuhren auf unbefestigten Wegen dahin, die oft nur durch das zusätzliche Vorspannen eines weiteren Pferdezuges den Aufstieg zu den Höhen bewältigten. Blockaden durch umgestürzte Bäume, Radbruch, Steckenbleiben oder das Umwerfen des Gefährts waren Standarderlebnisse einer Reise bei der die Passagiere blaue Flecken und die berüchtigte “Seekrankheit” bekamen. Runde acht bis zehn Stunden musste man auf der Poststraße Nürnberg-Frankfurt allein für das Teilstück Lengfurt/Triefenstein bis zur Pferdewechselstation Hessental/Post einkalkulieren. Dieses Stück wurde erst im späten 18.Jahrhundert befestigt und gesteint.

Der Überfall

Raub auf der Spessart Straße bei Aschaffenburg

Teilnehmer waren: Friedrich Schütz, vulgo Manne Friedrich, Johann Adam Treber, Wilhelm, Sohn des Porzellan-Hannes, Der krumme Hannfriedel, Johann Martin Rupprecht, vulgo Hessen-Martin 

Dieser Raub wurde am 30. September 1810 morgens zwischen zwei und drei Uhr im Spessart, unweit von Rohrbrunn, an dem Kaufmann Johann Richard Söltel und seinen zwei Begleitern aus Nürnberg verübt. Die Räuber waren ausgegangen, um in der Nacht Fuhrmannskarren vor einem Wirtshaus aufzuschneiden und zu berauben. Es wurde auch wirklich einer gefunden und aufgeschnitten. Da dieser aber nur Säcke mit Wolle geladen hatte, so setzten die Räuber ihren Weg weiter fort. Oberhalb Aschaffenburgs fanden sie in einem Dorf wieder einen Frachtwagen vor einem Wirtshaus stehen; es befanden sich aber Hunde dabei. Der kleine Johann war für diesen Fall mit “Krähenaugen” und vergiftetem Fleisch versehen und brachten den Hunden auch wirklich welche bei. Es krepierte aber nur einer der Hunde und sie mussten ihr Vorhaben aufgeben. Am anderen Morgen hatten sie die Frechheit, sich in das selbe Wirtshaus zu begeben und sich von dem Wirt die Vergiftung seines Hundes erzählen zu lassen. Sie zogen dann weiter um in der folgenden Nacht bei einem im Wald liegenden, einzelnen Wirtshaus, vor welchem auch Frachtwagen zu halten pflegten, ihr Heil zu versuchen. Sie kamen dahin, fanden aber keinen Wagen vor und traten nunmehr den Rückweg an. 

Auf diesem Rückweg fuhr eine Chaise an ihnen vorbei. Hannefried versuchte den Koffer abzuschneiden. Dieser war aber angeschraubt und mit Ketten festgemacht, darum misslang der Versuch. Die Reisenden in der Kutsche hatten inzwischen Unrat gewittert und sahen sich nach dem Koffer um. In diesem Augenblick sprang der kleine Johann, welcher der Chaise gefolgt war, bei und schlug das eine Pferd mit einem Stein nieder. Die anderen kamen auch dazu und schlugen mit ihren Prügeln auf den Chaisenkasten. Die Reisenden, welche das Kommando des einen Räubers: “Haltet die Pferde an, werft die Chaise um!” und das Schlagen und Werfen auf die Chaise bange gemacht hatte, sprangen heraus und entflohen; auch der Kutscher. Sämtliche wurden mit nachgeworfenen Steinen und Prügeln verfolgt, entkamen aber glücklich. Die Räuber brachen nun mit Gewalt den Koffer ab, zertrümmerten und plünderten ihn. Als sie im Begriff waren, auch die Chaisenkisten zu plündern, kam schon Hilfe auf die von den Entflohenen gemachte Anzeige herbei. Sie entliefen in den Wald, so eilig, dass sie mehrere Rollen Geld, 1200 Stück Brabanter Taler, im Fond der Chaise zurückließen. Der empfindliche Verlust des Herrn Söltel war der seiner Meßbücher, wovon sich jedoch später ein Teil im Wald fand. Sein Verlust an Geld und Effekten betrug nach eidlicher Angebe 1200 Gulden.

Erstürmung der Wirtschaft “Krone” in Dettingen bei Aschaffenburg

In der Nacht vom 4. zum 5. Februar 1807 rannten zwölf bis vierzehn Räuber die Tür des Wirtshauses “Krone” in Dettingen, Inh. Sitzmann, mit einem Rennbaum ein, gleich darauf wurden die ersten Zimmertüren aufgesprengt, Schreibpulte und Comode erbrochen; die Frau von der Seite ihres Mannes hinweg gerissen, sie und ihr Mann auf die Erde geworfen und mit Betten zugedeckt, auf welche sich einige Räuber setzten. Bald aber zogen sie sie wieder hervor, banden die Hände und Füße des Mannes und der Frau, welche noch besonders mißhandelt wurde, weil sie sich gegen das Binden sträubte. Der Schreibpult wurde in ihrem Angesicht ausgeleert; dann die Frau die Treppe hinaufgeschleift, um dort noch mehr Geld zu zeigen. Die Frau wurde oben in das Zimmer ihres Schwiegervaters geschleppt, da hatten schon andere von der Bande geplündert, hierauf in das Zimmer des im Hause wohnenden alten Pfarrers Dürr. Diesem banden die Räuber die Hände auf den Rücken und die Füße zusammen, warfen ihn auf den Bauch und bedeckten ihn mit Betten. Dann wurde die beklagenswerte Frau durch alle noch übrigen Zimmer gezogen, gemißhandelt und mit vorgehaltener Pistole bedroht, wenn sie das Geld nicht herausgebe oder anzeige. 5.000 Gulden müssten da sein, behaupteten die Räuber. Einer von ihnen trat ihr auf den Hals, dem reichte sie ihren Ring vom Finger, als das Letzte was sie habe. Der Räuber nahm ihn und scheint auch ihrer Versicherung geglaubt zu haben, denn Er und die Uebrigen ließen sie nun liegen und zogen ab. Der 73jährige Vater des Wirtes wurde gebunden und seines Geldes beraubt. Dessen todtkranke Frau wurde von einem der Räuber, welcher in ihr Zimmer gedrungen war, als er ihren Zustand entdeckte, verlassen, ein Anderer aber, welcher wie es scheint weniger gefühlvoll war, durchwühlte ihre Comode und gab ihr, wahrscheinlich zur leichteren und besseren Erinnerung an diesen Vorfall, zwei Backenstreiche. Sie hielt diesen für einen Juden. Einem Knechte, welcher aus dem Haus gesprungen war um Hilfe zu rufen, wurde mit einer Pistole von einem der außen Wache stehenden in das Gesicht geschossen; – drei Schrote trafen das Kinn, ein Zahn wurde ihm hinweggeschossen und das ganze Gesicht vom Pulver geschwärzt. Der ganze Vorgang scheint nicht über eine halbe Stunde gewährt zu haben. An Bargeld fielen den Banditen mehr als 2.000 Gulden und bedeutende Sachwerte in die Hände. Nach dem Coup zogen sie mit der gemachten Beute beladen, mit brennenden Lichtern, jubelnd aus dem Hause, schossen noch verschiedene Male und als sie die nach Klein-Ostheim führende Brücke erreicht hatten, gaben sie noch eine Generalsalve nach Dettingen zurück, zum Entsetzen mehrerer Ortsbewohner, die mittlerweile durch den Lärm auf die Straße getrieben, nicht eingriffen. Die Gangster hinterließen ein Todesopfer, den 67jährigen Pfarrer Franz Dürr, der von etlichen Messerstichen verletzt unter den Betten hervorgezogen wurde, aber trotz ärztlicher Hilfe noch in der selben Nacht verstarb.

Überfälle dieser Art waren in der unsicheren Zeit damals immer zu erwarten. Den entsetzten Betroffenen blieb nichts anderes übrig, als um ihr Leben zu flehen. Auch Viehtreiber, Handwerksburschen, Handelsjuden wurden angefallen, ausgeplündert und verprügelt. Besonders an der Straße bei Rohrbrunn war dies keine Seltenheit. In den einschlägigen Akten kann man heute noch nachlesen was sich so alles zugetragen hat und wie ohnmächtig die Landmiliz damals war, denn wer konnte in so einem unwegsamen Wald einen Räuber finden? Postwagen wurden in den Jahren 1787, 1788 und 1789 ausgeraubt, Postbedienstete und Reisende verletzt und sogar getötet. Die Strafen, die auf Postraub standen, waren hart und nicht nur einmal wurde vermerkt: “Durch das Rad vom Leben zum Tod zu bringen sei, der Gestalt jedoch, das ihm der sogenannte Gnadenstoß gleich auf das Herz zu haben wäre.”

Das Ende der Hölzerlips-Bande

Als im Mai 1811 zwei reiche und angesehene Kaufleute aus der Schweiz die von der Frankfurter Ostermesse zurückreisten, bei Heppenheim überfallen und so übel zugerichtet, dass der wenige Tage später starb, setzte schließlich ein großes Kesseltreiben nach den Räubern ein. Unter den eingefangenen verdächtigen Männern mit einem Bündel Kleider aus dem Besitz der Schweizer Kaufleute, war auch ein gewisser Valentin Schmitt, angeblich aus Berlin. 

“Der peinliche Richter, Herr Brill zu Darmstadt, nahm sich der Sache mit rühmlichem Eifer an und es gelang seiner Bemühung, den so genannten Schmitt zum Bekenntnis zu bringen, dass er eigentlich Veit Krämer heiße und dass er mit fünf anderen, zwei Kaufleute an der Bergstraße ausgeraubt hatte … ” 

Nach Krämers weiterem Geständnis wurden dann fünf berüchtigte Räuber in Heidelberg inhaftiert: Hölzerlips, Manne Friedrich, Köhler Andreas, Langer Andreas und der Basti. Schwer gefesselt gelang es dem Basti noch einmal auf kaum glaubliche Art und Weise auszubrechen. Er hat mit den Schultern ein Gitterfenster mit samt dem Rahmen ausgehoben, einen Kloben dazu benutzt und die beiden neuen, guten Schlösser der Ketten, womit er kreuzweise gefesselt war, erbrochen. 

Er hat eine Decke zerrissen, ein Seil gedreht und war durch ein Loch in der Mauer entschlüpft und noch drei Meter tief hinuntergesprungen. Sein Hemd zog er als Beinkleider an und so schlug er sich als harmloser Irrer durch den halben Odenwald. Dann wurde er doch wieder eingefangen. 

Am 31. Juli 1812 statuierte die großherzoglich-badische Regierung auf dem Marktplatz zu Heidelberg ihr spektakuläres Exempel gegen die Räuber im Spessart, Odenwald und in den Maingegenden. Georg Philipp Lang alias Hölzerlips, Sebastian Lutz alias Basti, Andreas Petry alias Köhlers Andres, Philipp Friedrich Schütz alias Manne Friedrich, Veit Krämer und Matheus Oesterlein alias Krämer Mathes waren des Raubmordes angeklagt. Das Blutgericht sprach die Angeklagten schuldig und das Todesurteil wurde verkündet. 

Schon am 30. Juli nahmen die Kochemer in der Haft voneinander Abschied. Manne Friedrich ergriff das Wort, bat seine Kameraden um Verzeihung für seine Denunziation und forderte sie auf, sich unter einander selbst und allen Kameraden in Mannheim zu verzeihen. Erschütternd war die Szene, als alle sich wechselseitig untereinander tief gerührt umarmten. 

Am Morgen des 31. Juli wollten die Todeskandidaten ihren Ermittlungsrichter Dr. Pfister sprechen, denn zwischen Inquisiten und dem Inquirenten hat sich während der ständigen Verhöre eine persönliche Verbundenheit aufgebaut. 

“Da sämtliche Inquisiten ausdrücklich verlangten, noch einmal von dem Stadtdirektor Abschied zu nehmen, so wurde ihnen, so schwer es dem Stadtdirektor auch fallen musste, diese Bitte nicht gewährt. Alle waren mehr oder weniger gefasst.”

Die Hinrichtung

Um 10.00 Uhr wurde über die ganz in weiß – die Farbe des Todes und der Erlösung -gekleideten Inquisiten auf dem Marktplatz vor einer riesigen Menschenmenge das feierliche Blutgericht gehalten. Dabei kam es zu einer überraschenden Wende. Mit erhöhter Stimme verkündet Pfister: “Andreas Petry und Sebastian Lutz, – Euch ist das Leben geschenkt! “Lauter Jubel brach aus der Menge, -wiederholtes Rufen der Menge. Es lebe der Großherzog von Baden! Er lebe! Er lebe hoch!

Kurzer Bericht von den am 31. July 1812 in Heidelberg zum Tod durch das Schwerdt verurtheilten sechs Raubmördern / Kämmerer, Friedrich; Wolf, Christian Theodor (Heidelberg; 1812).

Sebastian Lutz sank in dem Augenblick der verkündeten Gnade ohnmächtig vom Stuhl zur Erde. Andreas Petry war im ersten Moment tief erschüttert, zeigte aber gleich darauf die lebhafteste Freude auf seinem Angesicht! Sie mussten aber die Hinrichtung ihrer Freunde mit ansehen. Beide wurden später ins Mannheimer Zuchthaus eingeliefert. Der Landesherr hat, wie im Todesurteil, so auch im Gnadenakt seine Allgewalt demonstriert. Die Hinrichtung wurde vollzogen. Der Stadtdirektor sagte: “Nachrichter, thuet nun, was Eures Amtes ist.” Manne Friedrich ging munter und immerfort mit dem ihm Nächststehenden, auf dem Schafotte sprechend, zum Stuhle und setzte sich. Um 15 Minuten nach 12 Uhr Mittags flog sein Kopf vom Rumpf. Hölzerlips nahte sich zwar gefasst, aber mit sichtbar innerem Kampfe dem Stuhl. Sitzend verlangte er noch Wein. Er erhielt ihn und trank in langen Zügen. 25 Minuten nach 12 Uhr lag sein Kopf zu seinen Füßen. Krämermathes nahte sich still und ruhig wie er stets war dem Stuhl, nahm Platz und war 30 Minuten nach 12 Uhr gerichtet. Veit Krämer wurde in lautem Jammer, weinend und um Mitleid umherflehend, da er nicht allein gehen konnte, zum Stuhl gebracht. 35 Minuten nach 12 Uhr war auch sein Lebensfaden durchschnitten.

Fazit

Das Räuberwesen im Spessart einzudämmen gelang erst 1814, nach dem Übergang an Bayern. Die im Vergleich zu früheren Sicherheitsbehörden straff durchorganisierte, an mehreren Orten des Gebietes stationierte Gendarmerie, sorgte für eine beschleunigte Strafverfolgung. Sie wurde durch die, seit 1803 Zug um Zug gewonnene politische Einheit der Region erleichtert. Postwagen wurden regelmäßig von bewaffneten Gendarmen eskortiert; ständig verschärften die Behörden die Kontrollen der Staatsgrenzen. Vagierenden drohten Abschiebung, Zucht- und Arbeitshaus oder Einsatz im Straßenbau. Damit konnten die Räuber- und Diebesbanden aus dem Bayerischen Teil des Spessarts abgedrängt werden. Einige Gruppierungen waren jedoch noch bis in die 1820er Jahre im hessischen Teil des Gebietes aktiv. Alle im Spessart aktiv gewordenen Deliquenten praktizierten, soweit nachweisbar, im Waldgebirge nur besuchsweise, denn schon die ständige Angst vor Verfolgung erforderte hohe Mobilität zumindest in der weiteren Region. 

Dass die große Mehrheit der Gauner nicht aus dem Spessart stammte, widerlegt die These, dass die Waldeinsamkeit dieses Gebietes mehr oder weniger zwangsläufig auch zur Kriminalität in dieser Landschaft führen musste. Wenn ein Individuum auf die schiefe Bahn geriet, standen am Beginn allerdings fast immer Armut und soziale Deklassiertheit, aus welchen Ursachen auch immer. Diese Bettler oder ambulanten Kleingewerbetreibenden wie Kesselflicker, Korbmacher, Löffelschnitzer, Hausierer oder Musikanten mussten häufig das Lebensnotwendige auf kriminellem Wege beschaffen. Auf dieser Basis bildete sich ein Berufsgaunertum heraus, dessen Mitglieder sich nicht nur eine Verbesserung des Lebensunterhalts versprachen, sondern auch soziale Anerkennung durch eine “Karriere” innerhalb der mehr oder weniger organisierten illegalen Verbände. Solche Motive konnten auch Angehörige sesshafter Unterschichten oder gesellschaftlich Abgestiegene zu umherschweifenden Banditen werden lassen, so etwa “unehrliche Leute”, die einen als anrüchig geltenden Beruf ausübten wie Schinder, Schäfer, Gassenkehrer oder Köhler. Einen weiteren Anteil am Gaunertum stellten schließlich desertierte Soldaten. 

Die Lebensgeschichten zeigen die Gauner nicht als souveräne Gesetzesbrecher, sondern als umhergeworfene Opfer der Gesellschaft, verstrickt in einen Überlebenskampf. Auch wenn die Banditen neben jämmerlich anmutenden Delikten Aktionen ausführten, in denen sie sich als durchtriebene Organisatoren und Geschäftsleute erwiesen, so fehlte doch zum Ruhm die Frechheit, das Kühne und Phantasieanregende der unerhörten Tat – vor allem aber der propagandistische Witz, mit dem zum Beispiel ein Schinderhannes selbst seine eigene Legende für die Nachwelt inszenierte. 

Die Bilder der Vergangenheit erscheinen uns so bunt und welcher Regionalpatriot ist nicht stolz, dass seine Heimat solch urige Typen aufzuweisen hat wie die Spessarträuber, noch dazu prominent als Helden hoher Literatur? Und wenn sie wieder auferstehen im Rahmen aktiver Freizeitgestaltung und Touristen überfallen, um sie hernach zur deftigen Räuberbrotzeit ans Lagerfeuer zu entführen, stört es wenig, dass es ihre Vorgänger eigentlich gar nicht gegeben hat. Nur mit Räuber im Spessart kann der spitzfindige Historiker aufwarten. Immerhin jedoch wussten die unsteten Räuber diesen Wald recht wohl zu schätzen, als Arbeitsgebiet mit attraktiven Verdienstmöglichkeiten. Die Touristinformationen und Fremdenverkehrsämter danken es ihnen.