Die Hessischen Räuber

Räuber im Odenwald und Umgebung

Schinderhannes

Der legendäre Räuberhauptmann Schinderhannes alias Johannes Bückler hat sich oft in Südhessen aufgehalten. Wenn er nach Diebstählen, Erpressungen und Überfällen aus dem Hunsrück, im Naheland und Pfälzer Bergland über den Rhein auf das rechtsrheinische Gebiet türmte, diente häufig vor allem das kleine Dorf Semd, das heute ein Teil von Groß-Umstadt ist, als Zufluchtsort.
In Semd wohnte der berühmteste deutsche Räuber nicht nur in Gasthäusern, sondern fand dort auch in verschiedenen Privathäusern einen Unterschlupf und pflegte mehrfach seine Beziehungen zu den Räubern im Odenwald, Spessart und in der Wetterau. Unter anderem traf der Schinderhannes in Semd einen der Hauptanführer der so genannten “Niederländer Bande” bzw. “Neuwieder Bande”, Jakob Mayer, der den Spitznamen “Müller-Daumen”, weil ihm am linken Daumen der Fingernagel fehlte. Mit ihm beging der Schinderhannes Überfälle in Baiertail (heute Wiesloch) bei Heidelberg und Würges bei Bad Camberg im Taunus.
Über die guten Kontakte, die der Schinderhannes in Semd zu anderen Banden pflegte, kam es dazu, dass sich im Frühjahr 1802 der später bekannte gewordene Odenwald-Räuber Johann Adam Heuser (“Dicker Adam”) bereit erklärte mit ihm über den Rhein zu gehen. Innerhalb von zwei Wochen traute sich der Hannes wegen der Gendarmen jedoch kein einziges Mal, einen Überfall durchzuführen und Heusner sprach nach dieser Zeit meistens etwas abfällig über den Hunsrück-Räuber.

Anfang Mai 1802 logierte der Schinderhannes im Gasthof zum Engel in Semd. Damals kam es vermutlich in diesem Gasthof zu einer wüsten Schlägerei mit dem Räuber Johann Adam Heusner, der vom Hannes brutal verprügelt wurde. In jenem Gasthof traf er sich vermutlich mit seiner Geliebten Julia Bläsius., gelegentlich verkaufte der Schinderhannes auch in Semd gestohlene Pferde.

Aber nicht der Schinderhannes war es: Die wirklichen Odenwälder Räuberhauptmänner hießen um 1800 Johann Adam Grasmann und Johann Adam Heusner. Die Heimatforscherin und Autorin Ella Gieg hat jetzt ihre zusammengefassten Erkenntnisse auf Einladung des Höchster Vereins für Heimatgeschichte im Bürgerhaus vorgetragen. Die gut besuchte Veranstaltung zeugte vom Interesse, das die Odenwälder Räubergeschichten noch heute wecken: „Es war die Armut, die pure Not, die die Menschen damals dazu trieb”, erklärt Gieg die harten Verhältnisse im damaligen Odenwald. Mit dem Diebstahl aus Hunger habe es begonnen. Das Gebiet der Räuber erstreckte sich bis weit über den Odenwald hinaus: Beutezüge führten sie bis nach Mainz, Fulda, Würzburg und Heidelberg. Die Gesellen bildeten keine festen Banden, sondern trafen sich mehr oder weniger spontan zum meist nächtlichen Geschäft. Angeführt wird die Liste der Räuber im Odenwald vom „Langen Samel”, dem 1765 in der Bruchmühle (außerhalb Etzen-Gesäß in Richtung Bad König) geborenen Johann Adam Grasmann, und dessen Neffen, dem „Roten Hann-Adam”, der 1779 als Johann Adam Heusner in Mümling-Grumbach geboren wurde. „Roten Haaren”, betont die Forscherin, „sagte man damals nichts Gutes nach.”

Grasmann, zuvor Hirte und Korbmacher, war während seiner Räuberzeit mit einem Bauchladen unterwegs. Nach dem frühen Tod seiner Frau hatte er bis zu seinem Ende ein Verhältnis mit einer Elisabeth Müller. Heusner, ebenso Korbmacher, aber auch Tagelöhner und Zapfensammler, soll um 1800 mit Grasmann seine erste Straftat begangen haben.
Laut Taufurkunden hatte Heusner einen Sohn, der vermutlich früh starb, und eine Tochter, die später, elfjährig, nach Heusners Hinrichtung vom Darmstädter Richter C. F. Brill aufgenommen worden sei. Die Unterlagen jenes Richters und dessen Heidelberger Amtskollegen Ludwig Pfister dienten Ella Gieg als Hauptquellen für ihre Recherche. Um die beiden „Haupträuber”, wie Gieg sie bezeichnet, scharte sich eine ganze Horde weiterer Krimineller. Die Spitznamen jener Gesellen („Bürsten-Caspar”, „dicker Bub”) lassen erahnen, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen stammten und oft körperlich gehandicapt waren.
Einer der schwersten Überfälle, der jener Rotte zugerechnet wird, ist der Raubüberfall im Rimhorner Pfarrhaus am 15. August 1803. Die Vermutung der Schinderhannes sei hier am Werk gewesen, sei widerlegt, so Gieg. „Wissentlich gemordet haben die Räuber nie,” betont die Forscherin, dennoch seien sie nicht zimperlich gewesen. Der misshandelte Pfarrer starb fünf Jahre später an den Folgen seiner Verletzungen. „Meistens wurden die Überfälle in Dörfern verübt, in denen sich einer der Räuber gut auskannte”, bemerkt Gieg. In Rimhorn sei es Heusner gewesen, der dort zuvor gewohnt hatte.
Das Diebesgut bestand oft nur aus Lebensmitteln, Branntwein, Geschirr oder Textilien, aber auch Schafe, Waffen und andere Wertgegenstände gestohlen. Allerdings, so Gieg, seien der Lange Samel und der Rote Hann-Adam keine Robin Hoods gewesen: „Die romantische Annahme, Arme würden für Arme stehlen, ist hier falsch.” Im Gegenteil seien oft arme Menschen die Opfer der Räuber geworden. Aus den Unterlagen der Richter sei zu erkennen, dass die beiden 41 Straftaten gemeinsam begangen haben sollen; 93 habe Grasmann, und 80 Heusner zusätzlich mit anderen begangen. Insgesamt also ein Register von 214 Delikten. Unterschlupf fanden die Räuber in der „Freiheit” bei Laudenau, heute ein Hotel, wo sich drei Grenzgebiete treffen. In jedem der Gebiete herrschte eine andere Polizeigewalt, was den Räubern zu Gute kam. Aufgrund ihrer Ortskenntnis konnten sie fern der Wege in kurzer Zeit unentdeckt auch große Entfernungen zu Fuß überwinden.

Dem Schinderhannes sei Heusner nur einmal begegnet, was in einer Prügelei endete. Der Rote Hann-Adam hatte keine gute Meinung von ihm: Der Schinderhannes sei ein großer Feigling gewesen. Heusner selbst wird vom Darmstädter Richter Brill als geständiger und sehr intelligenter Mann charakterisiert, man könne sich nur wundern, wieso er eine solche Laufbahn eingeschlagen habe. Insgesamt wurden zwischen 1803 und 1814 in der südhessischen Region 38 Menschen wegen Diebstahls, zumeist aus Hunger und Not, hingerichtet.

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Nach dem Vorbild des Schinderhannes haben sich im Odenwald aber auch andere Räuberbanden gebildet. Im Wald zwischen Billings und Nonrod, in der Nähe des “spitzen Steins” hatte sich eine Bande eine Höhle als Unterkunft ausgebaut und sich häuslich eingerichtet. Selbst der Ofen fehlte nicht. Von hier aus unternahmen die Räuber ihre Streifzüge in die nähere und weitere Umgebung.

Am 27.4.1802 wurden z.B. Pfarrhaus und Kirche in Neunkirchen geplündert. Dabei wurden der Pfarrer, seine Frau und deren beiden Schwestern schwer misshandelt. Die Räuber hatten die Kirchentür besetzt und die Glockenstränge abgeschnitten, damit nicht “Sturm geläutet” werden konnte. Allen Leuten, die zu Hilfe kommen wollten, wurde mit Totschlag gedroht. Nachdem die Banditen ihre Beute (Geld, Schmuck, den goldenen Kelch in der Kirche und andere Wertgegenstände) in Sicherheit hatten, zogen sie wieder ab.
Als sie eines Tages die Bewohner des Schlosses Lichtenberg (Beamte des damaligen Landgerichts) heimsuchten, und dort die Wäsche stahlen, ging man ihnen zu Leibe. Auf Ersuchen der Herrn des Gerichts wurde aus Darmstadt ein Trupp Soldaten in das Fischbachtal beordert, der das Diebesnest ausfindig machte und ausräucherte. Die Mitglieder der Bande, denen man Morde nachweisen könnte, wurden in Darmstadt enthauptet, die übrigen erhielten längere Freiheitsstrafen.

Der Latzekeller
Latzekeller

Natürlich wird Lützelbach immer wieder einmal erwähnt, sei es in Gerichtsprotokollen des Amtsmanns von Lichtenberg oder im Zusammenhang mit der Räuberbande des “Hölzerlips”, zu der auch zeitweise Georg Tascher, Jakob Erbeldinger etc. aus der Umgegend von Lützelbach gehört hatten und Unterschlupf in einer Höhle suchte. Die Höhle wird heute noch im Volksmund nach dem Bandenführer Latz “der Latzekeller” genannt. Später ist sie beseitigt und zugeschüttet worden.
Der Hölzerlips und seine Kumpanen hatten im Jahre 1810/1811 mit ihren Familien am Katzenbuckel ein Winterquartier gefunden. In den Dörfern um Waldbrunn, Katzenbach, Strümpfelbrunn und Mülben wurden sie geduldet und man hat ihnen Schlafplätze gegeben oder Scheunen überlassen. Auch in den Dörfern rund um den Winterhauch hatte Hölzerlipps seine Zufluchtsorte. Das Felsenhaus bei Mülben ist heute noch als Ruine im Wald zu finden.

Das Felsenhaus
Felsenhaus

Der Raum Mülben, Höllgrund, Reisenbacher Grund und Galmbach war eines dieser Schlupfwinkelgebiete, in dem auch das aufgesuchte imposante Felsenhaus liegt. Die oberirdische Höhle aus Sandsteinquader ist inzwischen eingefallen (oder zerstört). Von hier aus starteten sechs Bandenmitglieder unter Hölzerlips am 28. April 1811 zu einem Raubüberfall an die Bergstraße.

Gasthaus zur Freiheit
Die Freiheit

Das Reichelsheimer Dorf Laudenau war seit altersher dreigeteilt: Laudenau das Dorf, Laudenau unter den Bäumen, und Laudenau / Freiheit. Diese drei Teile standen zu früherer Zeit auch unter verschiedenen Lehnherren und waren sogar verschiedenen Pfarreien zugeteilt. Die Grenzen der drei Zehnten trafen unweit der heutigen Freiheit zusammen, es ergab sich ein “Niemandsland”, worauf keine unmittelbare Gerichtsbarkeit Zugriff hatte ( außer vielleicht dem Kaiser, denn der hätte so etwas nicht geduldet). Es heißt, wer sich etwas zuschulden kommen ließ, und es schaffte, auf dieses Areal – das wohl von hohen Hecken umstanden gewesen sein mußte – zu kommen, der hatte 48 Stunden Asylrecht und konnte Schutz und Hilfe suchen. Daß sich dieses auch einige Räuber und Taugenichtse zunutze machten, liegt auf der Hand. Um die Jahre 1802 bis 1810 konnte man die Freiheit als Hauptquartier der Odenwälder Räuberbanden bezeichnen. Der bekannteste dieser Räuber war Johann Adam Heusner mit seine Kumpanen Johann Adam Grasmann,genannt “der Große Samuel”, Georg Tascher und Jakob Erbeldinger.


Im Gebiet um Fulda und später weiter südlich, im Badischen gab es noch die sogenannte Hölzerlipsbande, die ihr Unwesen aber auch bis in unsere Gegend ausdehnte und die Freiheit bestens kannte. Bis die Bande 1814 zum Tode durch das Schwert verurteilt war, verübten sie über 130 Delikte, darunter 43 Überfälle. Die Delikte bestanden meistens im Einstoßen eines Hausgefachs und dem Ausrauben der Speisekammer und etwaiger Wertgegenstände. Stellte sich ihnen jemand in den Weg, bekam er meistens arge Schläge. Beliebtes Ziel der Ganoven waren Mühlen, Bauernhöfe und fahrende Händler. Nach solchen Raubzügen, die oft mehrere Tage dauerten, traf man sich in der Freiheit. Dort wurde das Diebesgut in der Weise verteilt, daß die Tochter des Hauses sich auf einen Stuhl stellte und den jeweiligen Empfänger der Stücke ausrief. Die damaligen Wirtsleute hatten ihren Vorteil darin, daß die Halunken sich nach einem erfolgreichen Beutezug äußerst freigiebig zeigten und ausgiebige Gelage feierten.