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Quellen – Johann Philipp Bopp

Johann Philipp Bopp (Darmstadt 1790 – 1862 Darmstadt), ab 1816 Hofgerichtsadvokat in Darmstadt, Schriftsteller, Politiker.  Bopp gehörte um 1819 der Gruppe der Darmstädter “Schwarzen” an und publizierte über die Verhandlungen des Darmstädter Landtages.

Beiträge zur Beurkundung der deutschen Strafrechtspflege in den drei letzten Jahrhunderten herausgegeben von Advocat Bopp in Darmstadt Erstes Heft. Stuttgart, Verlag von Gebr. Mäntler (A. Kröner). 1861

Verurtheilung zur Todesstrafe wegen Straßenraubs und Diebstahls.

I. Das Erkenntniß erster Instanz.

In Untersuchungsachen gegen den dahier verhafteten Johann Lehn, vulgo Spielhannes, von Zimmern, im Großherzogthum Baden, *) wird auf amtspflichtiges Verhör, erfolgte Vertheidigung und erstattete Vorträge zu Recht erkannt: daß derselbe wegen der beiden im hiesigen Großherzogthum, und zwar zwischen Oberroden und Heusenstamm, sodann am Leihstädter Hof bei Büdingen begangenen Verbrechen des Straßenraubs und der durch Einbruch und Einsteigen mittelst Führung von Wasfen theils begangenen, theils versuchten Diebstähle zu Beerfelden, Michelstadt, Mörlnbach und in der Nähe von Albersbach, mit Rücksicht auf seine durch die mehrfältige Begehung von zum Theil noch schwereren Verbrechen in andern Staaten bewiesene persönliche Gefährlichkeit mit dem Schwerd vom Leben zum Tod zu bringen sei.

V. R. W. Dessen zur Urkunde 2c. So geschehen Darmstadt, den 9. Mai 1818. Gr. Hess. Hofgericht daselbst.

II. Das Erkenntniß zweiter und letzter Instanz.

In Untersuchungssachen gegen 2c. wird auf eingelegte Revision, mit sämtlichen Untersuchungsacten eingeschickten Bericht voriger Instanz und erstattete Vorträge durch Urtheil hiermit zu Recht erkannt, dass, in Anbetracht der von dem Inquisiten vielfach verübten Straßenräubereien und übrigen schweren Verbrechen das Erkenntnis – Gr. Hofgericht dahier vom 9. Mai d. J., wodurch Inquisit zur Strafe des Schwerdts verurtheilt worden, lediglich zu bestätigen sei. V. R, W,.

Dessen zur Urkunde 2c, Darmstadt, den 27. August 1818. Gr. Hess. Oberappellationsgericht daselbst.

*) Schon Brill: gedenkt dieses Gauners S. 463-477, des zweiten Theils seiner Schrift: Actenmäßige Nachrichten von dem Raubgefindel in den Mainzgegenden, dem Odenwald und den angrenzenden Ländern, besonders in Bezug auf die in Darmstadt in Untersuchung befindlichen Glieder desselben. Darmst. 1815: Johannes Lehn, vulgo Spiel- oder Musikantenhannes, auch der Lehmüller genannt. Meine gegenwärtige Mittheilung führt zugleich die Biographie weiter und fügt den Schlußact bei. Zu den acht Portraits, die dem ersten Theil der Brill’schen Schrift beigegeben sind, gehört auch Lehns Bild.

III. Bericht des obersten Gerichts an den Regenten.

Das Großherzogliche Hofgericht dahier hat am 9. Mai d, J. den Johann Lehn, vulgo Spielhannes, wegen mehrfach verübter Capitalverbrechen zur Strafe des Schwerdts verurtheilt. Auf Einwendung der Revision haben wir die geführte Untersuchung sorgfältig geprüft und die ausgesprochene Strafe den Acten und den Gesehen durchaus gemäß befunden, daher unterm Heutigen eine Bestätigung derselben einstimmig von uns beschlossen wurde. Es ist daher unsere Pflicht, dieses und das eventuelle Gesuch des Verurtheilten um landesherrliche Begnadigung Ew. Königlichen Hoheit mit folgender Darlegung in tiefster Unterthänigkeit vorzulegen.

Johannes Lehn stammt aus einer Familie, welche unter dem Namen: Die Lehmüllers-Bande berüchtigt war. Er wurde zu Kestrich im Fürstenthum Oberhessen geboren, ist katholischer Religion und dermalen 35 Jahre alt. Als er das zweite Jahr erreicht hatte, verließ sein Vater Kestrich, zog einige Zeit ohne festen Wohnsitz umher und hielt sich dann bis zum Jahr 1806 zu Steinbach in dem Amt Ortenberg auf. Lehn besuchte daselbst die Schule, lernte Lesen und Schreiben, erhielt Unterricht in der Musik und erwarb sich einige Fertigkeit in Drahtarbeiten. Als er ungefähr 22 Jahre alt war, trennte er sich von seinen Eltern, zog mit Musikanten umher, und spielte in Wirthshäusern. Bei einer solchen Gelegenheit soll der nun hingerichtete Adam Heusner *) seine Bekanntschaft gemacht und ihn zu dem Räuberleben verführt haben. Er schloss sich diesem berüchtigten Verbrecher an, verschaffte sich einen kleinen Kramkasten zum Deckmantel und wurde nun Dieb und Räuber vom Handwerk. Mehrere Jahre ergab er sich in steter Gemeinschaft mit der Heusner’schen Bande dieser ruchlosen Lebensweise, und kam dann im Jahr 1810 nach Zimmern, Großherz. Badischen Amts Rothenfels, wo sein Vater inzwischen Flurschütze geworden war. Es glückte dem Sohne, die Stelle des Vaters zu erhalten, und bald nachher wurde der junge Mann als Nachtwächter und Gemeindediener angenommen. **) Es wäre zu erwarten gewesen, dass diese günstige Wendung seines Geschicks ihn zu einer ehrlichen Lebensweise zurückgeführt hätte; allein diese Erwartung wurde getäuscht. Mit Schlauheit vermied er zwar jede Verschuldung in seinen Dienstverhältnissen und wusste er sich auch bei seinen Vorgesetzten einzuschmeicheln; indessen benutzte er seine Stellung zu fortwährender Verbindung mit Gaunern und bildete sich bald aus Einwohnern der Gegend eine neue Bande, mit welcher er, selbst in der Nähe von Zimmern, die frechsten Raubthaten und Diebstähle in gefährlichster Art verübte, *)  

*) s, Brill a. a, O. Th, 1, S, 37-228: Johann Adam Heusner | **) So wurde, um mit dem Sprichworte zu reden, der Bock zum Gärtner gemacht.

Schon war dieses frühere Mitglied der Heusner’schen Bande geraume Zeit von den inzwischen eingezogenen Genossen derselben als ihr Spießgeselle bezeichnet; allein sein Aufenthaltsort blieb unentdeckt. Endlich verriet diesen der dahier verhaftet gewesene Johann Kintzinger **) und auf Requisition des hiesigen peinlichen Gerichts lieferte die badische Behörde am 7. Juni 1814 den jetzt Verurtheilten hierher aus. Bei der Menge der von ihm eingestandenen Verbrechen — 22 an der Zahl — würden wir uns vergeblich bemühen, eine vollständige Darstellung des Näheren in der erforderlichen Kürze zu liefern. Es sei uns daher erlaubt, uns auf den Hauptbericht des peinlichen Richters **) und in Ansehung der rechtlichen Beurteilung auf die bei uns erstatteten Vorträge zu beziehen, indem wir hier nur die Hauptresultate der Untersuchung zusammenfassen wollen.

Das Verbrechen des Raubs, auf welchem die gesetzliche Strafe des Schwerdts steht, hat Lehn theils in erstürmten Wohnungen, theils auf den Straßen siebenmal vollführt, nämlich zu Altenhofen +) in der Weidemühle, in der Emmerichsmühle, bei Oberroden, ++) bei Erbstadt, +++) bei dem Leihstädter Hof *) und bei Altenhaß

*) Man denkt unwillkührlich an den Doppelgänger Rinaldo Rinaldini und Zschokke’s Abällino. | **) s. Brill a. a. O. Th. 2, S. 423-462: Johannes Kintzinger. | ***) Es hätte sich auch auf jenen Abschnitt im zweiten Theile der Brill’schen Schrift bezogen werden können.

+) Um bei dieser That zu verweilen, so wurde sie verübt in Verbindung mit Heusner, Joachim Koch, dem krummen Hanjost, dem kleinen Hann-Adam, dem Ueberrheiner Wilhelm und dem großen Johann, und zwar in der Nacht vom 6. auf den 7. November 1807 in der Behausung des Johann Storch, Koch, im Hause bekannt, hatte die Gelegenheit erforscht, Hann-Adam stieg durch ein Fenster nahe der Thüre ein und öffnete diese von Innen. Hanjost und Lehn blieben als Schildwache zurück, die Uebrigen drangen mit einem angezündeten Licht in das Haus und die Schlafstube des Ehepaars. Hann-Adam warf sich auf das Bett und hielt das Ehepaar fest, sie auffordernd, anzugeben, wo das Geld sei, Der Ehemann wurde mit seinem Waschseil gebunden. Koh nahm in der Nebenstube aus einem kleinen Kasten das darin befindliche Geld, das nach der eidlichen Angabe der Beraubten in zwei Dukaten und 443 Gulden in Silber bestand.

++) s. Brill a. a. O. Th. 1, S. 133-135. Lehns Genossen waren Heusner, dessen Bruder Stephan, der dicke Bub, der krumme Hanjost und Heinrich Lehn. Die Beraubten waren zwei Juden. Der eine Jude, Landolin Sanderbeck, wurde niedergeschlagen, raffte sich aber wieder auf und entfloh. Lehn verfolgte ihn mit Stephan Heusner und dem dicken Buben, holte ihn ein, und schlug ihn mit seinen Genossen nieder, so dass er bewusstlos liegen blieb und erst, nachdem sich die Räuber entfernt hatten, sich wieder erholte.

+++) s. Brill a. a. O, S. 469, 470. Lehn hatte. noch vier Genossen zur Seite und beraubte fünf Juden, die ihre drei silberne Uhren und gegen eilf Gulden an baarem Geld verloren.

*) Brill a. a. O. S. 470, 471, Lahn überfiel mit vier Genossen mehrere Schulen, *) und dreimal hat er dasselbe versucht bei Gräverwiesbach, im Indenhof zu Steinbach und bei Kerbersdorf. Ferner liegen ihm sieben wirklich verübte qualificirte Diebstähle (zu Beerfelden, Diedelsheim, Michelstadt, Scherring, Neuenschmierer Hammer, Ulmbach und Birkenfeld) zur Last, und außerdem hat er noch einen bei Albersbach begangenen, zwei einfache und zwei attentirte Diebstähle eingestanden.

Sein Vertheidiger hat offen erklärt, dass er keinen von den Gesetzen gebilligten Milderungsgrund der verwirkten Todesstrafe auffinden könne und selbst die Bitte um allerhöchste Begnadigung ist gänzlich unmotivirt geblieben. Auch wir wissen in der Persönlichkeit des Inquisiten keinen Grund zur Unterstützung jenes Gesuches zu finden; es zeigt sich derselbe vielmehr überall, wo er zu Verbrechen mitwirkte, als frecher, vorzüglich thütiger und hartherziger Theilnehmer. Oefters erschien er dabei bewaffnet, und misshandelte die Beraubten gröblich. Seine ununterbrochene Verbindung mit den gefährlichsten Jaunern, welche er selbst als Gemeindediener zu Zimmern zu erhalten wusste.

**) beweist seinen tief eingewurzelten Hang, sowie seine stete Bereitschaft zu

macher, die nach Frankfurt reisen wollten, um Leder einzukaufen und beraubten sie ihrer Baarschaft mit 337 Gulden 20 Kr. Einem der Beraubten, der sich zur Wehre setzte, wurden zwei Löcher in den Kopf und die Schulter auseinander geschlagen. Zu den Genossen Lehns gehörte auch der Ueberrheiner Hann-Adam. Daher fügt Brill folgende Denkwürdigkeit bei: Es war kurz vor diesem Straßenraub, als der Ueberrheiner Hann-Adam sich die frühere Beischläferin des damals hier unter dem falschen Namen: Valentin Hiller verhafteten Krug-Josephs, die sogenannte große Catharina, beigelegt hatte. Von diesem Raub hatte er das meiste unterschlagen, und sich bald nach demselben von den Anderen getrennt. In einem Ort bei Hanau übernachtete er mit seiner Concubine und mit ihm zugleich der sogenannte Wurzel-Jörg. Während Hann-Adam mit seinem Weibsbild in einem besonderen Zimmer sich pflegte, benutzte Wurzel-Jörg die Gelegenheit, dessen Büchsensack mit dem geraubten Geld sich zuzueignen, und machte sich aus dem Staube, Jener hatte die Verwogenheit, den Diebstahl der Obrigkeit selbst anzuzeigen, und den Wurzel-Jörg durch öffentliche Blätter als den Thäter signalisieren und verfolgen zu lassen.

*) Am 14. August 1809 wollten die „Juden Simon und Liebmann Abraham und Neusau Mordaihai von Altenhauslau mit ihren Waren den Markt zu Bieber besuchen. In dem Wald wurden sie von Lehn, dessen Bruder Heinrich und dem kleinen Johann überfallen und ihrer Waren beraubt. Lehn setzte dem einen Juden eine Pistole auf die Brust. Nicht weit hinter den Angegriffenen kamen Leute heran, die gleichfalls den Markt besuchen wollten, ohne dass die Räuber sich dadurch stören ließen. Einer der Herangekommenen wurde durch Vorhaltung einer Pistole zurück gejagt. Der Werth des Geraubten betrug 621 Gulden.

**) Brill a, a, O. (Th. 2) S. 467: Niemand ahnte in ihm den Räuber Spielhannes, obgleich das in dem ersten Theil des Pfister’schen Werkes von ihm gegebene und mit seiner Person übereinstimmende Signalement bekannt war. – Kamen Signalements von Verdächtigen oder- Angeschuldigten, so wusste er so lang auf die Seite zu gehen, bis sie etwas verraucht waren, und wusste sich das Vertrauen des Ortsvorstandes so eigen zu machen, dass Kintzinger bemerkte, man müsse vorsichtig zu Werke gehen, allen Verbrechen, und die Art, wie er diese ausführte, bezeichnet den geübten Räuber und Dieb von Profession. Auch während seiner Verhaftung zeigte er keine Spur aufrichtiger, ungeheuchelter Reue; er erschwerte die Untersuchung durch das hartnäckigste Zurückhalten, Leugnen und Lügen. Bei einem so hohen Grad subjectiver Gefährlichkeit können wir uns daher keineswegs bewogen finden, den Verurtheilten Ew. Königlichen Hoheit zur allerhöchsten Begnadigung zu empfehlen, um so weniger, weil er das Verbrechen des Raubes weit öfter begangen hat, als die im Jahr 1812 hingerichteten Räuber Kaspar Mündorfer und Johann Leonhard Götz, an welchen Allerhöchstdieselben die gesetzliche Strafe haben vollziehen lassen.

IV. Rescript des Ministeriums vom 18. September 1818 an das oberste Gericht.

Auf erstatteten Vortrag hätten des Großherzogs Königl. Hoheit zu beschließen geruht:

Da ewiges Gefängnis nach dem Gesetze gleich der Todesstrafe erkannt wird, so wird der Inquisit zum ewigen Gefängnis verurtheilt. Da er keinen Mord begangen hat, so kann ihm diese Gnade ertheilt werden. In Folge hiervon wurde der Verurtheilte in das Zuchthaus abgeführt.