Zum Inhalt springen

Erster Abschnitt

Aktenmäßige Nachrichten von dem Gauner- und Vagabunden-Gesindel, sowie von einzelnen professionierten Dieben, in den Ländern zwischen dem Rhein und der Elbe, Karl P. Schwencken, 1822

Kurze Übersicht des Gaunerwesens zwischen dem Rhein und der Elbe während der letzt verflossenen zwei Dezennien.

In allen Ländern hat es von jeher Menschen gegeben, welche, ohne Heimat und Vaterland umherschweifend, lieber betteln und stehlen, als durch Arbeit ihren Unterhalt erwerben mochten. Zu diesen Auswürflingen gehörten ehemals vorzugsweise die Zigeuner, ein nomadisierendes Völkchen, welches, ausgezeichnet durch Sitte, Lebensart und Sprache, hordenweise umherzog und sich seine Bedürfnisse teils durch Betteln, teils durch Stehlen und Betrügen zu verschaffen wusste, auch nicht selten die Bestandteile zu förmlichen Banden hergab, welche mit bewaffneter Hand raubten und plünderten (a).

(a) Sie selbst nennen sich Roma, Menschen, Sinte, vom Fluß Sint, oder Indus und Kala, Schwarze. Sie stammen wahrscheinlich aus Judostan ab und haben sich vom Anfang des 15ten bis in die Mitte des 16ten Jahrhunderts über die verschiedenen Europäischen Länder in großer Zahl ausgebreitet. Sie bekennen sich gegenwärtig fast ausschließlich zur katholischen Religion und haben in der Regel keine vom Vater auf den Sohn übergehende Familien – Namen.

Noch zu Ende des verflossenen Jahrhunderts sah man sie in allen Gegenden Deutschlands in größeren oder kleineren Haufen umherziehen. Seit dieser Zeit aber haben sie sich, wenigstens im nördlichen Deutschland, sehr zu vermindern angefangen, indem sich viele von ihnen feste Wohnsitze gewählt und sich auch wohl zu einem bestimmten Erwerbszweige bequemt haben, die meisten aber durch Auswanderung den strengeren Polizeimaßregeln, welche man seit der besagten Zeit fast allenthalben gegen das heimatlose Gesindel ergriffen hat, aus dem Wege gegangen sind. Jedoch huldigen auch noch viele von ihnen in unseren Gegenden, vorzüglich da, wo die Polizei nicht mit der erforderlichen Strenge gehandhabt wird, der Lebensweise ihrer Vorfahren (a).

(a) So wurde z. B. noch im Jahre 1814 eine aus einigen und 20 Köpfen bestehende Zigeuner-Familie, welche damals an der Hessisch-Sächsischen Grenze umherzog, zu Eisenach gefänglich eingebracht und nach einer kurzen Detention in das Hessische zurückgewiesen.

Neben den Zigeunern war auch noch eine große Menge anderer Landstreicher vorhanden, welche in allen möglichen Gestalten, teils einzeln, teils in ganzen Gesellschaften, ohne Erwerbzweig, ewig unstet das Land durchzogen (b).

(b). Schon zu Zeiten Landgraf Philipps des Großmütigen war der Unfug, den das landfahrende Gesindel durch Raub und Mord stiftete, so groß, dass deshalb scharfe Verordnungen erlassen werden mussten. S. Sammlung Hessischer Landes – Ordnungen Th. I. S. 217 ff.

Hierher gehören die Unzahl von geboren Vaganten und Bettlern, ferner entwichene Verbrecher, Deserteure und alle diejenigen, welche Ursache haben, ihre Heimat zu meiden; endlich die Auswürflinge aller Classen der Gesellschaft, selbst der höheren nicht ausgenommen. – Menschen dieser Art, welche entweder aus Gewohnheit oder aus Neigung umherschweifen und sich auch ohne Arbeit ihren Unterhalt zu verschaffen wissen, sind unstreitig schon an und für sich ein großes Übel für das Land, welches von ihnen überschwemmt wird. Sie werden aber zu einer wahren Landplage, zu einer Geißel ganzer Völker, wenn Kriege oder ähnliche Ereignisse die Bande der Gesellschaft lösen und die Justiz und Polizei auf längere Zeit außer Wirksamkeit setzen, oder wenn sie, durch irgend einen unternehmenden Bösewicht zu einem Ganzen vereinigt, mit gemeinschaftlicher Kraft gegen das Leben und Eigentum des friedlichen Bürgers wüten.

Zu keiner Zeit hat vielleicht das Unheil, welches durch Räuber – und Gaunerbanden gestiftet wird, einen höheren Grad erreicht als zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Das Jahr 1796 kann als der Anfangspunkt dieser durch so viele Gräueltaten befleckten Periode betrachtet werden, denn damals war es, wo sich zuerst in Brabant und Flandern, als Folge der dort stattgefundenen revolutionären Ereignisse, eine furchtbare Räuberbande erzeugte, welche, unter dem Namen der Niederländischen bekannt, in mehrere Zweige geteilt (Brabantische, Holländische, Mersisische Bande) sich verheerend über ganz Brabant und Holland verbreitete und endlich, sich auf das rechte Rheinufer ziehend, die sogenannte Neuwiedter Bande bildete.

Neben dieser, ursprünglich größten Teils aus Juden bestehenden Bande, welche an Unternehmungsgeist, Kühnheit und Grausamkeit alles hinter sich zurücklässt, was man bis dahin von dergleichen Räuberrotten erlebt hatte, existierten in den Ländern des linken Rheinufers noch mehrere andere Banden, von denen sich die Moselbande, die Bande des Schinderhannes, (Joh. Bückler) und die Crevelderbande, diese im damaligen Ruhr, Departement und in Bergischen, jene vornehmlich an der Mosel und auf dem Hundsrück, am furchtbarsten gemacht haben. Auch diese Räuberhorden waren durch die in jenen Gegenden geführten Kriege erzeugt und durch die Zerrüttung, welche die Auflösung der Verfassung zur Folge gehabt hatte, genährt worden.

Alle diese Banden hatten beinahe ein ganzes Dezennium hindurch in den jenseitigen Rheinlanden auf das fürchterlichste gehaust, als endlich, nach mehrjähriger Anarchie, die neueingeführte Verwaltung soviel Konsistenz gewann, dass sie mit Nachdruck gegen jene zahllose Menge innerer Feinde auftreten konnte. Auch hatten die kräftigen Maßregeln, zu denen sich jetzt die neuen Polizei- und Justizbehörden vereinigten, zur Folge, dass eine große Anzahl jener Wüteriche ergriffen und der verdienten Strafe teilhaftig gemacht wurden. – Nachdem schon im Jahr 1798 ein großer Teil der Crevelder Bande der ausgezeichnet tätigen Preußischen Justiz in die Hände gefallen und, auf Lebenszeit ihrer Freiheit beraubt, zu Wesel in Verwahrung gebracht worden war, empfingen im Jahr 1799 die Hauptmitglieder der Moselbande zu Koblenz ihre Strafe. Im folgenden Jahre wurden mit ihrem Anführer Franz Bosbeck sieben Mitglieder der Holländischen Bande im Haag aufgeknüpft, und im Jahr 1805 endigte Schinderhannes mit 19 seiner Raubgenossen in Mainz unter dem Beil der Guillotine; 21 andere seiner Bande wurden zu Ketten- und Zuchthausstrafen verurteilt. Andere Mitglieder der vorerwähnten Banden büßten ihre Freveltaten, zum Teil- mit dem Tode, in Jülich, in Lüttich, in Köln und in Düsseldorf.

So wohltätig aber die Wirkung dieser strengen Rechtspflege für die Bewohner der jenseitigen Rheingegenden, wenigstens für einige Zeit war, so nachteilig waren ihre Folgen für die Länder am diesseitigen Rheinufer. Es geschähe nämlich, was immer geschieht, wenn sich die Polizei einmal ermannt und mit Nachdruck gegen das Gaunergesindel auftritt; – ein großer Teil der Banden, welche bis dahin vorzugsweise nur in den jenseitigen Rheinländern gehaust hatte, verlegte nunmehr den Schauplatz seiner Verbrechen in entferntere Gegenden. Die berüchtigtsten Mitglieder jener Banden, ein – Picard, Hampel hohl mich, Adrian Bosbeck, Rouchet, Damian Hessel und Andere, hatten nicht sobald einzusehen angefangen, dass die gegen sie ergriffene Maßregeln ihre Sicherheit jenseits des Rheins gefährdeten – als sie sich auf das rechte Rheinufer zurückzogen und daselbst neue Banden bildeten, indem sie teils die jenseits versprengten Räuber an sich zogen, teils sich mit dem diesseits vorfindlichen Gaunergesindel vereinigten. Der zahlreichsten und gefürchtetsten dieser Banden hat man den Namen der Neuwiedter beigelegt, weil sie in Neuwied eine geraume Zeit hindurch ihre Hauptniederlage hatte und von da aus eine Menge Räubereien ausführte. Eine andere Räuberrotte, welche sich in Essen zusammengezogen hatte, und von dort aus das Münstersche und die benachbarten Länder in Kontribution setzte, ist unter dem Namen der Essendischen bekannt.

Es erneuerten sich nunmehr in den Ländern diesseits des Rheins die Szenen, welche beinahe ein ganzes Jahrzehnt hindurch in den jenseitigen Rheingegenden zur Tagesordnung gehört hatten. Es wurde bald hier bald da mit offener Gewalt geraubt und geplündert. Zwar lieferte eine ihrer ersten Unternehmungen, ein zu Daden im Dillenburgischen verübter Raub, nicht weniger als zwanzig Mitglieder der Bande, unter denen sich mehrere gefürchtete Anführer befanden, in die Hände der Preußischen Justiz. Dies schreckte aber die übrigen so wenig ab, dass sie sich vielmehr, nachdem sie sich von neuem rekrutiert hatten, ihre Räubereien von ihren Schlupfwinkeln aus, nach wie vor fortsetzten. Auch war die Trennung von ihren eingefangenen Spießgesellen nur von kurzer Dauer, denn diese, auf Lebenszeit zur Festungsarbeit nach Wesel verurteilt, wussten sich ihrer Fesseln sehr bald wieder zu entledigen und standen schon im Jahr 1800, vereint mit ihren alten Raubgenossen und von doppeltem Mute beseelt, auf dem Kampfplatz.

Wenn schon vorher die Unsicherheit in den Rheingegenden groß gewesen war, so war jetzt kein Landbewohner seines Lebens und Eigentums mehr sicher. Ein nächtlicher Überfall folgte dem andern, alle mit Grausamkeit und teuflischer Bosheit vollbracht. Ganz besonderes Aufsehen aber erregten um diese Zeit zwei höchst merkwürdige Raubunternehmungen, von denen die eine im August 1800 zu Kleinseelheim bei Marburg, die andere im Januar des folgenden Jahrs in dem Posthause bei Würges verübt wurde. Durch diese Untaten zeigten die Neuwiedter Räuber erst recht, was sie vermöchten und was man fernerhin von ihnen zu erwarten habe. Außerdem fallen noch in diese Periode die Raubdiebstähle zu Hundsangen, Daisbach, Haingründen (im Isenburgschen), zu Ehringhausen, Breitau bei Vollendar, zu Hilscheid, Bonstädt in der Wetterau, zu Burghaune im Fuldischen, zu Bettelschlos bei Neuwied, zu Ernstkirchen bei Aschaffenburg, in der Throner Mühle bei Wehrheim – eine Menge von weniger ausgezeichneten Verbrechen, Straßenräubereien, Kirchendiebstählen und Einbrüchen nicht zu gedenken.

Das Uebel hatte jetzt einen zu hohen Grad erreicht, als dass die Regierungen der betreffenden Länder nicht auf Mittel, ihm zu steuern, hätten Bedacht nehmen sollen. Wirklich traten auch zu Anfang des Jahrs 1801, auf die Einladung von Kur – Trier, die Abgeordneten mehrerer Länder des ehemaligen ober – und niederrheinischen Kreises in Wetzlar zusammen und vereinigten sich daselbst über gewisse gemeinschaftlich zu ergreifende Maßregeln, von denen man sich die Herstellung der öffentlichen Sicherheit versprechen zu können glaubte. Auch in andern Ländern ergingen zu diesem Zwecke Verordnungen, die manche sehr heilsame Vorschriften enthielten, wie denn namentlich in Kurhessen durch eine Verordnung vom 18ten September 1801 hinsichtlich der von Zeit zu Zeit zu haltenden Streifzüge und sonstiger zur Einfangung und Abtreibung des Raubgesindels zu befolgenden Maßregeln, hinsichtlich der Pässe usw.. Bestimmungen gegeben wurden. Entscheidender als dergleichen Vorschriften, bei denen am Ende alles von dem Eifer und der Tätigkeit der gewöhnlichen Polizei-Beamten abhängt, war für die Herstellung der Sicherheit in den Preußisch-Westphälischen Provinzen die Wirksamkeit einer Behörde, welche im Jahr 1801 unter dem Namen: Immediat Sicherheits-Kommission zu Bochum niedergesetzt wurde. Dieser gelang es nämlich, nicht allein eine Anzahl der in jenen Gegenden hausenden Räuber zur Haft zu bringen, sondern sich auch die erforderlichen Nachrichten über den Umfang der Bande, ihre einzelnen Mitglieder, Schlupfwinkel und dergleichen zu verschaffen, durch deren Benutzung in der Folge die Prozeduren gegen jenes Gesindel sehr erleichtert worden sind.

Eine der wohltätigsten Wirkungen des Eifers, womit das Gaunergesindel von den durch so viele Gräueltaten aufgeschreckten Polizei – und Justizbehörden, insbesondere auch von denen des linken Rheinufers, verfolgt wurde, war die Zerstörung der Schlupfwinkel, in welchen sich dasselbe bisher verborgen gehalten hatte. Zuerst traf die Reihe die vertrauten Häuser in Neuwied, welchen durch Einwirkung der vormals französischen Behörden das Garaus gemacht wurde. Gleiches Schicksal hatten bald nachher auch die Gaunerherbergen in Essen und Eckardtroth, von welchen beiden Orten vorzüglich der letzte eine Reihe von Jahren hindurch dem Raubgesindel den ausgedehntesten und sichersten Schutz gewährt hatte. Der dortige Patrimonial-Beamte, welcher pflichtvergessen und ehrlos genug gewesen war, allem verdächtigen Gesindel aus schnödem Eigennutz Aufnahme und Schutz gegen auswärtige Verfolgungen zu gewähren, wurde entfernt und durch einen Mann ersetzt, der seiner Pflicht besser nachzukommen verstand (a).

(a) Als Beitrag zur Bestätigung dessen, was in der aktenmäßigen Geschichte der Räuberbanden an den beiden Ufern des Rheins Th. II. S 295 ff über Eckardtroth beigebracht ist, verdient hier die Aussage der Bruder Harting über denselben Gegenstand angeführt zu werden. – Es wird dadurch zugleich die Erfahrung von neuem bestätigt, dass die Begünstigung von Verbrechern, zumal wenn sie sich auf Habsucht gründet, selten verschwiegen bleibt.

Georg Harting sagt in seinen Verhören vom 5ten und 7ten Avril 1813: sein Vater sei gerade zu der Zeit nach Eckardtroth gezogen, als die Neuwiedter Räuber die Gewalttat zu Kleinseelheim bei Lauer verübt hätten. Dieselben wären damals zu Eckardtroth versprengt worden, und ihnen auf ihrem Rückzug bei Neuwied begegnet. Zur Zeit als sie, die Hartings, zu Eckardtroth gewohnt, habe auch Maschumel und der dicke Matheis ihren Wohnsitz daselbst gehabt, sowie mehrere jüdische Gauner z. B. Mentel Polack, Feist Hünerhund, Süskind, der Sohn des alten Murdgen. Andere wären ab- und zugegangen, als Anton Heinze, Adolph Weihers, Damian Hessel, Mever Fuchs, Picard usw. – Zu E. habe sie der Hr. v. H. und sein Amtmann Kees in allen geschützt, allein sie hätten auch ansehnlich dafür bezahlen müssen. Das Aufnahmegeld allein und die dabei verursachten Kosten hätten sich auf 100 fl. belaufen und die jährlichen Abgaben wären nicht gering gewesen. – Als der Bürger Keil, Gelnhausen und Eckardtroth besucht hätte, wären sie gerade abwesend gewesen.

Nicolaus Harting gibt in seinen Verhören von 19ten und 26sten Juni 1813 an: sein Vater hätte durch die Kochemer Juden in Neuwied erfahren, dass es für Räuber vorzüglich gut in Eckardtroth sei, und es keine Schwierigkeit habe – daselbst die Aufnahme des Gutsherrn zu erhalten. Er habe sich daher im Herbst 1800 entschlossen, dorthin zu ziehen. Wirklich hätte sich bei ihrer Ankunft schon eine artige Gesellschaft allda befunden. Viele Räuber hätten dort Schutz und alle wenigstens Duldung genossen. Mentel Polack , Macholchen, Feist Hühnehund, Taubich und Dobertchen hätten dort ihren Wohnsitz gehabt, der dicke Mathes sei einige Tage vor seinem Vater in E. angekommen und späterhin hätten sich noch Carl Heckmann, Adolph Weyers, Anton Heinze, Picard, Damian Hessel und andere eingefunden, und von dort aus ihre Geschäfte betrieben. . – Auch bei Schuchard in Gelnhausen auf der Burg hätten sie ihre Niederlage gehabt, so wie überhaupt die ganze Burg kochem gewesen sei. Zu E. hätte der Amtmann Kees und Parnes, der Judenvorsänger regiert und durch deren Vermittlung habe sein Vater den Schutz vom Hrn. v. H. erhalten, der ihm jedoch vieles Geld gekostet habe. – Sein Vater habe die Aufnahme zu E. als Handelsmann gehabt und sie mit 100 fl. an Hrn. v. H. bezahlt, ohne was es ihm bei dessen Beamten, dem Amtmann Kees, gekostet habe. – Nachher, als er, N. Harting, sich mit seiner jetzigen Frau dort verheiratet habe, hätte er an Rezeption- und Strafgeldern seine Braut sei nämlich schwanger gewesen – gegen 69 fl. bezahlen müssen; der größte Teil von der bei dem Straßenraube unweit Homburg an der Höhe gemachten Beute sei dazu verwendet worden.

Die Mitglieder der Neuwiedter und Essendischen Banden, solchergestalt ihrer Asyle beraubt und durch die gegen das heimatlose Gesindel angeordneten strengen Maßregeln von allen Seiten gedrängt, konnten es sich nunmehr nicht länger verhehlen, dass sie auf dem bisherigen Schauplatze ihr verruchtes Gewerbe nicht mehr mit der gewohnten Sicherheit zu treiben vermöchten. Die meisten von ihnen fanden es daher geraten, ein günstigeres Territorium für ihre Unternehmungen aufzusuchen. Ein Teil der genannten Banden zog sich auf den Spessart und von da nach Franken und Schwaben zurück, wo ihnen die vielen kleinen sich durchkreuzenden Ländergebiete eine sicherere Existenz versprachen. Andere gingen auf das jenseitige Rheinufer zurück; wieder andere, vorzüglich die jüdischen Mitglieder jener Banden, fingen an, ihre bisherige Methode, mit offener Gewalt zu rauben, gegen den listig ersonnenen und kunstmäßig ausgeführten Diebstahl zu vertauschen und damit, ohne sich auf eine bestimmte Gegend zu beschränken, bald in diesem bald in jenem Lande zu debütieren. Noch andere vereinigte sich mit dem Gaunergesindel entfernterer Gegenden, und bildeten aus diesen neue Banden, welche unter ihre Anführung die Taktik der Niederländer befolgend, dieser letzten zuweilen in Absicht auf ihre verderbliche Tätigkeit ziemlich nahe kamen.

Zwischen dem Rhein und der Elbe gab es nicht ein einziges Land, welches im Laufe des ersten Jahrzehnts des gegenwärtigen Jahrhunderts von dergleichen Räuberbanden verschont geblieben wäre. Man erstaunt, wenn man die Verzeichnisse der Räubereien und Diebstähle aller Art durchläuft, welche in dem Zeitraum von 1800 bis 1810 in den genannten Gegenden verübt worden sind. Es möchten in dieser Periode, vorzüglich zur Frühjahrs- und Herbstzeit, wohl wenige Nächte geben, die nicht durch ein, bald hier bald dort ausgeführtes, Diebesunternehmen zu bezeichnen wären.

Es hausten um jene Zeit mehrere abgesonderte Räuber- und Diebeshorden in den Maingegenden und im Odenwalde, in der Wetterau und auf dem Vogelsberg. Andere Räubervereine, von denen sich jener der Gebrüder Harting durch Anzahl und Unternehmungsgeist auszeichnete, trieben in Ober- und Niederhessen, so wie in den benachbarten Ländern, ihr Wesen, während fast zu gleicher Zeit die Bande des Theodor Unger in Niedersachsen und jene des Erdmann im Braunschweigischen usw. Verderben verbreitete. Noch andere Räuberrotten, größten Teils aus Juden bestehend und von Leyser Polack, von Süsmilch und Isaac Muck angeführt, traten bald in dieser bald in jener Gegend raubend und stehlend auf (a).

(a) Auch au der westlichen Grenze von Deutschland trieb damals noch die schon seit vielen Jahren bestandene Bande des berüchtigten großen Jainkof, meist Juden, ihr Wesen, und späterhin im Jahr 1810 setzte die Horstsche Räuber – und Mordbrennerlande die Kurmark in Augst und Schrecken.

Dies Unwesen dauerte von Anfang bis zu Ende des erwähnten Dezenniums ununterbrochen fort; erst dem darauf folgenden Jahrzehnt war es vorbehalten, demselben zu steuern und der zügellosen Frechheit des Räuber – und Gaunergesindels ein Ziel zu setzen.

Ehe wir jedoch zu dieser Periode übergehen, sei es uns vergönnt, noch einen besonderen Blick auf den früheren Zustand der öffentlichen Sicherheit in den Ländern an der Lahn, Fulda, Werra, Weser und Leine zu werfen. – So wie in allen anderen Gegenden Deutschlands, so hatte es auch in jenen Ländern nie an landfahrendem Gesindel und an solchen Menschen gefehlt, welche den bequemen Erwerb durch Diebstahl der mühsamen Arbeit vorzogen (a.)

(a) Weit übler noch, als in dem größten Teile von Norddeutschland, sähe es in der fraglichen Beziehung von jeher in Franken und Schwaben aus, worüber das weitere in dem vom Herrn Oberamtmann Scheffer unter dem Titel: Abriss des Gauner- und Bettelwesens in Schwaben (Stuttgart 1793) herausgegebenen sehr schätzbaren Werke zu ersehen ist. Mit den in diesem Werke enthaltenen Nachrichten stimmen die Entdeckungen genau überein, welche ein gewisser Joh. Ph. Schreyer, der im Jahr 1798 zu Markt – Dachsbach saß, dem dortigen Amte gemacht hat.

Auch mangelt es keineswegs an Beispielen, dass dergleichen Gesindel schon in früheren Zeiten, vorzüglich nach beendigten Kriegen, in förmliche Banden zusammengetreten wäre und durch Raub und Diebstahl großes Unheil angerichtet hätte. Ausgezeichnet waren in dieser Beziehung in der ersten Hälfte des verwichenden Jahrhunderts besonders das erste und fünfte Dezennium, in der zweiten Hälfte aber die 1780 ger Jahre, in welchen namentlich unter Anführung eines gewissen Philipp Schlemming eine zahlreiche Diebesbande durch mehrere kühne Unternehmungen die Sicherheit des Eigentums in Hessen bedeutend gefährdete. In eben diesen Zeitraum fällt die Existenz zweier Banden, die sich das Hannöversche vorzugsweise zum Schauplatz ihrer mitternächtigen Taten ausersehen hatten und von denen die eine einen gewissen Braden, die andere, größten Teils aus Juden bestehend, einen gewissen Masemann zu Anführern hatte.

Gegen das Ende der 80ger Jahre war es jedoch den Justiz- und Polizeibehörden der besagten Gegenden gelungen, die einzelnen dort streifenden Gaunerrotten zu zersprengen, so dass sich die Bewohner jener Länder in den letzten Jahren des abgewichenen Jahrhunderts einer Sicherheit zu erfreuen hatten, welche, wenigstens in Vergleich mit den Ereignissen der neueren Zeit, vorzüglich genannt werden kann. Dieser friedliche Zustand war aber leider! nur von kurzer Dauer. Die Elemente, aus denen sich das Uebel entwickelt, das heimat- und erwerblos umherziehende Gesindel, war noch in großer Menge vorhanden; es bedurfte daher nur eines kleinen Windstoßes, um das unter der Asche glimmende Feuer von neuem zur verzehrenden Flamme anzufachen.

Der glückliche Fortgang, welchen zu Ende des vorigen Jahrhunderts die Unternehmungen der zahlreichen Räuberrotten in den jenseitigen Rheinlanden hatten, die traurige Zelebrität, welche sich einzelne Mitglieder jener Banden, ein Picard, Schinderhannes und Andere erwarben, verbunden mit den anziehenden Schilderungen, welche das Gerücht von der reichen Beute dieser Bösewichter weit umher verbreitete, scheint auch die Auswürflinge, anderer Länder zur Nachahmung gereizt zu haben.

Wenigstens fingen sich schon mit dem Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts, also zu der Zeit, wo das Unwesen am Rhein beinahe seinen höchsten Gipfel erreicht hatte, auch in Hessen und den benachbarten Ländern die Einbrüche und Diebstähle auffallend zu vervielfältigen an.

Das Übel würde indessen nicht den hohen Grad erreicht haben, wenn der Grund desselben bloß in dem ein heimischen Gaunergesindel gelegen hätte; die an sich schon sehr bedeutende Anzahl desselben wurde aber nicht allein durch eine Menge von auswärts hinzuströmenden Taugenichtsen, zum Teil Militär-Ausreißer usw. sehr beträchtlich vermehrt, sondern es vereinigten sich mit derselben auch mehrere der versuchtesten Mitglieder der am Rheine versprengten Räuberbanden. Von diesen Flüchtlingen, welche wir seit dem Jahre 1802 mit dem Gaunergesindel unserer Gegenden vereinigt sehen, verdienen vorzugsweise Nicolaus und Georg Harting genannt zu werden. Dem verderblichen Einfluss, welche diese vollendeten Spitzbuben auf das Gaunergesindel in Hessen ausgeübt haben, ist ganz vorzüglich die beispiellose Unsicherheit, welche daselbst fast ein ganzes Jahrzehnt hindurch geherrscht hat, zuzuschreiben. Denn sie waren es, welche ihren Neuverbündeten den Unternehmungsgeist mitteilten, der die Rheinländischen Banden so verderblich gemacht hat; sie waren es, welche ihnen die Verfahrungsweise jener Banden und die Schleichwege lehrten, auf welchen sie sich den Verfolgungen der Obrigkeit so lange zu entziehen gewusst haben; sie waren es endlich, welche fast alle ihre kühneren Unternehmungen als Anführer leiteten.

Die Rollen, welche unter dem Gaunergesindel in Hessen mehrere Mitglieder der ehemaligen Neuwiedter Banden spielten, hatten im Odenwalde, am Main usw. verschiedene ehemalige Raubgenossen des Schinderhannes übernommen. Den Ursachen, welche in unseren Gegenden das Gedeihen und Fortbestehen der Räuber – und Gaunerbanden haben befördern helfen, kann sodann auch die im Jahr 1806 erfolgte Staatsumwälzung und die dadurch veranlasste Einführung einer ganz fremden, von der bisher bestandenen so durchaus verschiedenen, Verfassung insofern beigezählt werden, als dadurch auf einige Zeit die Polizei- und Strafrechtspflege in ihrem regelmäßigen Gange gestört wurde.

Es liegt nicht in dem Plane dieser Blätter, sich über die einzelnen Taten der Räuberbanden, welche seit dem Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts in Hessen und den benachbarten Ländern gehaust haben, mit derjenigen Ausführlichkeit, welche ähnliche Werke in dieser Rücksicht darbieten, zu verbreiten. Man beschränkt sich daher bloß darauf, eine kurze Übersicht von den vorzüglichsten Verbrechen, welche bei den, vor den vorhinnigen Kriminal-Höfen in Cassel und Marburg usw. gegen jene Banden stattgefundenen Prozeduren, vorgekommen sind, zu geben. Dies wird hinreichen, den Leser in den Stand zu setzen, sich einen Begriff von der verderblichen Betriebsamkeit des Gaunergesindels in den genannten Gegenden zu machen, während es auch in anderen Beziehungen nicht undienlich sein möchte, die Verbrechen jener Banden, so wie die Urheber derselben näher kennen zu lernen.