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Einleitung

Actenmässige Geschichte der Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden und mehrerer mit ihnen in Verbindung gestandener Verbrecher, Nebst Personal-Beschreibung vieler in alle Lande teutscher Mundart dermalen versprengter Diebe und Räuber – Von Friedrich Ludwig Adolf von Grolmann, Giessen 1813

Ehe die aktenmäßige Schilderung beginnt, die der Titel verspricht, ist zu erklären, was sind Gauner, und was versteht man unter Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden.

Gauner sind Menschen, die Gewerbe vom Rauben, und Stehlen machen, und um dieses Handwerk mit Vorteil zu treiben, gewisse Gebräuche und eine eigne Sprache haben. Alle, die gleiche Grundsätze und Gebräuche beobachten, sind ihre Verbündete, und die Gauner-Sprache ist das Vehikel, durch das sie sich erkennen.

Die Gauner im Allgemeinen, die sich auch Kochemer nennen, teilen sich in zwei Haupt-Klassen. Die eigentlichen Gauner, Jenische oder Romanische Leute, machen die eine aus: die andere heißt im engeren Sinn Kochemer – Leute; sie sind der ersteren Vertraute. Diese sind ansässig und verstehen sich mit jenen auf allerlei Weise. Sie beherbergen und verbergen sie in ihren Häusern; sie kaufen ihnen die gestohlene Sachen ab oder machen ihnen dazu Kaufleute aus; sie bewahren sie vor Gefahren, richten – Bestellungen aus von einem an den andern, legen für sie falsches Zeugnis ab, verraten ihnen häufig Gelegenheiten zu Raub und Diebstahl, leihen dazu Schießgewehr und andere nötige Sachen, nehmen das Gestohlene nach Umständen in ihre Hütten, und unterstützen sie mit einem Wort, eigenes Vorteils willen, so viel sie können; nur äußerst selten stehlen sie selbst mit ihnen. Die Beherberger heißen Kochemer Bayser, und die Abnehmer Schärfenspieler; oft sind beide in einer Person vereinigt. Die eigentlichen Gauner oder Jenische Leute sind ein herumziehendes Volk, ohne bleibende Wohnstätte, das überall und nirgends zu Hause ist. (*).

(*) Der Abriss des Gauner- und Bettelwesens in Schwaben, definiert die eigentliche Gauner S. XV. u. XVL. der Einleitung folgendermaßen: „Sie sind Diebe, die nicht etwa zuweilen stehlen und ihren festen Wohnsitz haben, sondern die vom Stehlen Profession machen, die dabei Landstreicher sind, in gesellschaftlicher Verbindung mit andern ihres Gleichen leben, und unter dem Namen Spitzbuben laufen.“

So wie das Wildbret vorzüglich den Boden liebt, wo es jung geworden; so auch hält sich der Gauner am liebsten und vorzugsweise in der Gegend auf, wo er geboren ist. Wird er aber vertrieben, oder streift er aus anderen Gründen weiter, so ist er überall zu Haus, wo er seines Gleichen findet. Der Winter indessen zwingt den Gauner, ein Obdach zu suchen; schon darum ist er genötigt, sich an eine gewisse Gegend zu binden. Denn nur bei speziellen Bekannten darf er auf längere Zeit Sicherheit und Obdach sich versprechen. Auch muss er, um mit Vorteil zu stehlen, Wege und Stege, die Verfassung eines Landes, und jede Schlupfwinkel zu seiner Sicherheit, kennen. Deswegen haben die Gauner in der Regel allerdings ihre Distrikte, worin sie ihre Winterwohnung haben, und wohin sie im Frühjahr ihren gewöhnlichen Ausflug nehmen. In diesen genießen sie gewisse Vorzugs-Rechte. Die Distrikte sind durch Natur – Lage und Gewohnheit bestimmt. Die Gauner, die in einer solchen Gegend geboren sind, oder solche zum gewöhnlichen Aufenthalt gewählt haben, werden benannt nach ihr. Und so haben wir denn die Bedeutung der Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden. Sie bestehen nicht aus solchen Leuten, die ganz allein auf dem Vogelsberg oder in der Wetterau stehlen. Ihre Individuen stehlen, wohin sie kommen, wie man sagt, – soweit der Himmel blau ist. Aber sie haben entweder im Vogelsberg oder in der Wetterau ihre Haupt-Schlupfwinkel und ihre nächste Vertraute. In der einen oder in der andern Gegend halten sie sich vorzüglich, besonders im Winter auf. Sie selbst nennen diejenige, welche auf solche Art durch gleiche Gewohnheit in näherer Verbindung mit einander stehen, die Vogelsberger oder Wetterauer Kameradschaft, und da das Wort Kameradschaft und Diebsbande, (Chawrouse, Kammerusche,) in der Gauner-Sprache einerlei Bedeutung hat,- Vogelsberger oder Wetterauer Bande.

Zwar haben die Gauner überall, wo deutsch gesprochen wird, ihre allgemeine Gebräuche und ihre ziemlich allgemein verständliche Sprache. Aber jede große Kameradschaft, (Distrikts-Bande,) hat von der einen und der andern ihre eigne Abarten. Es ist in diesem Stück gerade, wie mit den Zünften. So wie diese übt auch jede Bande in ihrem Distrikt einen gewissen Zunftzwang aus. Die Willkür Andrer, nicht damit Verwandter, wird in solchen nicht leicht und ohne Gründe gestattet. Allein der Gauner muss gar oft flüchten. Verfolgt von der Gerechtigkeit, ist er genötigt, in an derer Gegend sein Heil zu versuchen. Die Gauner benachbarter Distrikte lernen ohnehin sich einander kennen. Durch Flucht und Heiraten treten sie in noch nähere Verbindung mit einander. So ist es denn begreiflich, dass es nur eines plausiblen Vorwandes, oder der Entführung eines Matadors bedarf, um als Kamerad in eine Distrikts-Bande rezipiert zu werden. Darum ist es aber auch gewöhnlich der Fall, dass der Gauner, der irgendwo eine Strafe verbüßt hat, oder aus dem Gefängnis durchgebrochen ist, arger als vorher wird. Seiner Sicherheit halber pflegt er nämlich die Gegend zu verlassen, wo er bekannt ist, und Nachstellungen zu erwarten hat. Um anderwärts mit Vorteil sein Geschäft zu treiben, muss er sich mit Haupt – Räubern verbinden, die ihn in einer andern Gegend geltend machen. Durch sie wird er denn zu immer größeren Verbrechen hingerissen, und um sich selbst Ansehen und Einfluss zu verschaffen, muss er zeigen, dass er in der Kunst zu rauben und zu stehlen nicht mehr Stümper ist. Ist nun ein Räuber einmal in mehrere Kameradschaften aufgenommen, dann kann er ungehindert in mehreren Distrikten sein Handwerk treiben.

Würde es recht allgemein beherzigt, dass der Gauner ein handwerksmäßiger Dieb und Räuber ist; so müsste schon diese einzige Betrachtung allgemein zu der Überzeugung führen, dass die gewöhnliche Prozeduren und Strafen gegen Gauner nicht hinreichen. Aber es ist noch mehr zu bedenken. Der Gauner erkennt in der Regel weder einen Gott, noch einen weltlichen Oberherrn. Keinem Fürsten ist er zinsbar; gegen keinen erfüllt er die Pflichten des Untertanen. Bürgerliches Gesetz und kirchliche Ordnung sind ihm Gräuel; jeden der sie beobachtet, hält er für dumm oder wittisch. So nämlich heißt bei ihm jeder, der kein Gauner oder sein Vertrauter, mit andern Worten: der nicht klug, d.h kochem ist. Jeder Kochemer aber lebt im Kriegs-Zustand mit jedem Wittischen. Er macht sich kein Bedenken, vielmehr eine Ehre und Vergnügen daraus, jeden ehrlichen rechtlichen Mann zu vervorteilen.

Gauner sind also geschworene Feinde des Staats und der inneren Ruhe. Sie sind schwerer zu bekämpfen, als andere Feinde; denn sie schleichen im Finsteren, sie müssen außerdem nicht nur eingefangen, sondern auch verurteilt werden. Um sie aber zu verurteilen, muss man sie vorher entlarven, überführen und zum Geständnis bringen. Wer dieses für leicht hält, besonders für eine Behörde, die nicht offiziell von den Verbrechen so um Lande geschehen unterrichtet wird, hat noch wenig mit Gaunern zu tun gehabt. Ihm rate ich, die leider nicht genug bekannte Schrift des würdigen Herrn Oberamtmanns Schefer zu lesen, betitelt: Abriss des Gauner- und Bettelwesens usw. Seite 197 f. und S. 275 wird er seine Belehrung finden. – Aber wenn auch alle obige Bedingnisse erfüllt sind; so ist der Gauner doch noch nicht unschädlich gemacht. Wan will, um ihn auf mehrere Jahre oder lebenslänglich hinzusetzen, durchaus eine Menge bewiesener und gestandener Verbrechen haben. Beweise und Geständnisse in Menge sind jedoch bei dem gefährlichsten Gauner grade am schwersten zu erhalten. An Todesstrafe für Diebstähle denkt man nicht, wenn auch der Beweise und Geständnisse noch so viele sind. Und wo ist, selbst bei lebenslänglicher Zuchthaus – Strafe die Garantie vor dem Ausbruch? Solang der Gauner lebt und Kräfte hat, versucht er diesen. Er ist den nächtlichen Einbruch gewohnt; er glaubt daher, dass ihm der Ausbruch) eben so wenig fehlen könne. Darum schreckt auch Zuchthaus – Strafe den Gauner nicht hinreichend. Auf den schlimmsten Fall hofft er durch die Flucht sich ihrer Verbüßung zu entziehen. Wir haben Beispiele, dass Gauner den Vorschlag zum Straßenraub ablehnten, nicht weil sie solchen für unrecht, sondern weil sie ihn für sich selbst zu gefährlich hielten, d. h. weil sie befürchteten, dass sie bei dereinstiger Einziehung dafür mit dem Tode bestraft werden könnten. Wir haben aber keine Beispiele in unsern Tagen, dass ein Gauner nur einigermaßen Furcht für den Folgen auch des gefährlichsten Diebstahls gehabt hätte.

Doch ist der Staat berechtigt, diese Menschen-Klasse, die jedem seiner Gesetze Hohn spricht, die der ewige erklärte Feind aller rechtlichen Bürger ist, die dem Landmann die Nachtruhe raubt die er ermüdet von des Tages Sorgen so nötig hat, die wie Ungeziefer an dem Mart des Untertanen saugt, die ihm entzieht, was das Verhängnis der Zeiten ihm übrig lässt, und wie ein Krebs-Schaden die Kräfte eines sonst gesunden Staats-Körpers verzehrt, dennoch ist der Staat berechtigt diese Menschen-Klasse schon ihrer feindseligen Absicht, Lebens – Art, ihres Handwerks, ihrer Verbindung wegen zu strafen und unschädlich zu machen. Dennoch berechtigen selbst unsere allgemeine, freilich nicht gehaltene Gesetze die Todes-Strafe auf einen dritten oder großen oder qualifizierten Diebstahl, auch gegen den Nicht Gauner zu erkennen. Es ist mir unbegreiflich, warum nicht wenigstens diese drei Erfordernisse in Verbindung bei unseren Gerichtsstellen hinreichen, den sonst berüchtigten Gauner, von Rechtswegen entweder über das Meer oder – über den Styx zu schicken.

 (*) Der mehrerwähnte Abriss usw. Einleit. S. VI. nennt sie mit Recht politische Blutigel, die das Publikum auf das unbarmherzigste besteuern, viele einzelne Personen und Familien zu Grunde richten, und physische und moralische Übel verbreiten, über dir man erstaunt, wenn man näher davon unterrichtet ist. Er bemerkt weiter, dass sie unstreitig wert sind, dass man sie näher ins Auge fasse, sich mit den Verhältnissen derselben auf das genaueste bekannt mache, und sie mit den hellsten Farben gezeichnet, dem Publikum zur Schau stelle. Seite X. ebendaselbst heißt es sehr richtig weiter: „Aber so lange man das Übel nicht genau und vollständig kennt, wie ist es möglich, dass man passende und zureichende Mittel zur Hebung desselben wähle, oder dass auch nur ein Eifer hierzu entstehe, der mit der Beschaffenheit und Größe des Übels im Verhältnis steht?“